Doug Lemov: Der Meister der Unterrichtstechniken

Hast Du Dich jemals gefragt, warum manche Lehrer scheinbar mühelos die Aufmerksamkeit ihrer Klasse gewinnen können, während andere ständig um Ordnung kämpfen müssen? Oder wie bestimmte Pädagogen es schaffen, dass ihre Schüler nicht nur zuhören, sondern auch begeistert lernen? Die Antwort könnte in den Techniken liegen, die Doug Lemov in seinem bahnbrechenden Werk „Teach Like a Champion“ zusammengetragen hat. Dieser umfassende Leitfaden führt Dich in die Welt von Doug Lemov ein – einem Mann, der die Art und Weise, wie wir über effektiven Unterricht denken verändert hat.

Inhaltsverzeichnis

Wer ist Doug Lemov?

Doug Lemov hatte in seiner frühen Jugend keine leichte Zeit. Er beschreibt sich selbst als „hässliches Entlein“ und als „sozial unbeholfen“, der verzweifelt dazugehören wollte. Um akzeptiert zu werden, versuchte er, als jemand wahrgenommen zu werden, dem die Schule nicht wichtig war – denn das galt als „cool“.

Diese persönlichen Erfahrungen haben möglicherweise sein späteres Interesse an Bildung und effektivem Unterricht geprägt. Heute ist Doug Lemov einer der einflussreichsten Bildungsexperten unserer Zeit. Mit einem Hintergrund, der akademische Ausbildung mit praktischer Erfahrung verbindet, hat er sich einen Namen als scharfsinniger Beobachter und Analytiker erfolgreicher Unterrichtspraktiken gemacht.

Lemov ist nicht nur Autor des Bestsellers „Teach Like a Champion“, sondern auch Gründungsmitglied der Uncommon Schools, einer Gruppe von Charter-Schulen in den USA, die für ihre herausragenden Ergebnisse bekannt sind, besonders bei Schülern aus benachteiligten Verhältnissen.

Wusstest Du schon? Bevor Doug Lemov zum Bildungsexperten wurde, arbeitete er als Lehrer und Schulleiter – und war anfangs ziemlich mies darin. Diese praktische Erfahrung an der „Front“ des Bildungswesens prägt bis heute seinen pragmatischen Ansatz.

Seine Arbeit zeichnet sich durch einen ungewöhnlichen Ansatz aus: Anstatt neue Theorien zu entwickeln, beobachtete er akribisch die besten Lehrer in Aktion und dokumentierte ihre Techniken. Diese empirische, praxisnahe Herangehensweise unterscheidet ihn von vielen anderen Bildungstheoretikern.

Die Entstehungsgeschichte von „Teach Like a Champion“

Das Buch „Teach Like a Champion“ entstand nicht am Schreibtisch eines Theoretikers, sondern aus der direkten Beobachtung des Unterrichtsalltags. Lemov verbrachte Jahre damit, außergewöhnlich erfolgreiche Lehrer zu beobachten, insbesondere solche, die in herausfordernden Umgebungen arbeiteten und dennoch bemerkenswerte Ergebnisse erzielten.

Seine Methodik war ebenso einfach wie revolutionär: Er identifizierte Lehrer, deren Schüler überdurchschnittliche Leistungen erbrachten, und analysierte minutiös, was diese Pädagogen anders machten als ihre Kollegen. Mit Videokamera und Notizbuch bewaffnet, dokumentierte er Hunderte von Unterrichtsstunden und destillierte daraus die wiederkehrenden Techniken, die erfolgreiche Lehrer anwandten – oft unbewusst.

Das Ergebnis war eine Taxonomie von 49 konkreten, benannten Techniken, die in der ersten Ausgabe von „Teach Like a Champion“ (2010) veröffentlicht wurden. Die überarbeitete Ausgabe „Teach Like a Champion 2.0“ (2015) erweiterte diese auf 62 Techniken und in der neuesten Ausgabe sind es 63.

Flipcard: Von der Beobachtung zur Praxis

Wie entstand „Teach Like a Champion“?

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Durch systematische Beobachtung und Analyse von Hunderten von Unterrichtsstunden besonders erfolgreicher Lehrer, vor allem in Schulen mit benachteiligten Schülern.

Was Lemovs Arbeit besonders wertvoll macht, ist ihre Konkretheit. Anstatt vage Prinzipien zu formulieren, beschreibt er präzise, beobachtbare Handlungen, die Lehrer in ihrem Unterricht umsetzen können – vom richtigen Timing einer Frage bis zur Körperhaltung beim Erklären eines schwierigen Konzepts.

Die Kernprinzipien von Lemovs Pädagogik

Obwohl Lemov für seine konkreten Techniken bekannt ist, basiert seine Arbeit auf einigen grundlegenden pädagogischen Prinzipien, die sein gesamtes Werk durchziehen:

1. Hohe Erwartungen für alle Schüler

Ein zentrales Element in Lemovs Philosophie ist der Glaube, dass alle Schüler, unabhängig von ihrem Hintergrund, zu hohen Leistungen fähig sind. Er lehnt die „Soft Bigotry of Low Expectations“ ab – die subtile Form der Diskriminierung, die entsteht, wenn wir von bestimmten Schülergruppen weniger erwarten.

2. Effizienz und Struktur im Unterricht

Lemov betont die Bedeutung eines strukturierten, effizienten Unterrichts. Jede Minute zählt, und erfolgreiche Lehrer maximieren die aktive Lernzeit durch durchdachte Routinen und Übergänge.

3. Positive Klassenraumkultur

Eine produktive Lernumgebung basiert auf einer positiven Klassenraumkultur, in der Respekt, Engagement und intellektuelle Neugier gefördert werden. Lemov zeigt, wie Lehrer diese Kultur systematisch aufbauen können.

4. Datengestützte Entscheidungen

Erfolgreiche Lehrer sammeln kontinuierlich Daten über das Verständnis und den Fortschritt ihrer Schüler und passen ihren Unterricht entsprechend an. Diese formative Beurteilung ist ein Schlüsselelement in Lemovs Ansatz.

5. Kontinuierliche Verbesserung durch Reflexion

Lemov betont die Bedeutung der kontinuierlichen professionellen Entwicklung. Lehrer sollten regelmäßig ihren eigenen Unterricht reflektieren und gezielt an der Verbesserung spezifischer Aspekte arbeiten.

Fun Fact: Doug Lemov ist nicht nur Bildungsexperte, sondern auch leidenschaftlicher Fußballfan und -trainer. Viele seiner Ideen zur Praxis und zum gezielten Training von Fähigkeiten wurden von Sporttrainingsmethoden inspiriert.

Diese Prinzipien bilden das Fundament für die spezifischen Techniken, die Lemov in seinen Büchern beschreibt. Sie spiegeln seine Überzeugung wider, dass guter Unterricht keine angeborene Gabe ist, sondern ein Handwerk, das erlernt, geübt und perfektioniert werden kann.

Die wichtigsten Techniken aus „Teach Like a Champion“

Lemovs Buch enthält 63 konkrete Techniken, die in verschiedene Kategorien eingeteilt sind. Hier sind einige der einflussreichsten und am häufigsten angewandten Techniken:

Techniken zur Etablierung hoher akademischer Erwartungen

Technik 1: No Opt Out

Diese Technik stellt sicher, dass Schüler sich nicht aus dem Lernprozess „ausklinken“ können. Wenn ein Schüler eine Frage nicht beantworten kann oder will, kehrt der Lehrer nach einem Hinweis oder nachdem ein anderer Schüler geantwortet hat, zum ersten Schüler zurück und lässt ihn die korrekte Antwort wiederholen.

Beispiel: Lehrer: „Was ist die Hauptstadt von Frankreich, Max?“ Max: „Ich weiß es nicht.“ Lehrer: „Wer kann Max helfen? Sarah?“ Sarah: „Paris.“ Lehrer: „Danke, Sarah. Max, was ist die Hauptstadt von Frankreich?“ Max: „Paris.“

Technik 2: Right is Right

Bei dieser Technik akzeptiert der Lehrer nur vollständig korrekte Antworten. Teilweise richtige Antworten werden anerkannt, aber der Lehrer arbeitet mit den Schülern, bis die Antwort vollständig korrekt ist.

Techniken für Planung und Durchführung

Technik 8: Post It

Lemov empfiehlt, Lernziele sichtbar im Klassenzimmer zu platzieren, damit Schüler immer wissen, worauf der Unterricht abzielt.

Technik 10: Double Plan

Erfolgreiche Lehrer planen nicht nur, was sie tun werden, sondern auch, was die Schüler während jeder Phase des Unterrichts tun sollen.

Techniken zur Strukturierung und Vermittlung

Technik 22: Cold Call

Bei dieser Technik ruft der Lehrer Schüler auf, ohne dass diese sich melden müssen. Dies erhöht die Aufmerksamkeit aller Schüler, da jeder jederzeit aufgerufen werden könnte. Dabei wird zuerst die Frage gestellt, dann einige Sekunden gewartet und erst dann ein zufälliger Schüler aufgerufen. Diese Reihenfolge ist für einen effektiven Cold Call sehr wichtig!

Anwendungsbeispiel: „Wir haben gerade über die Ursachen des Ersten Weltkriegs gesprochen. Emma, nenne mir einen der Hauptgründe, die wir diskutiert haben.“

Infobox Cold Call vs. traditionelles Aufrufen: Während beim traditionellen Aufrufen nur die Schüler antworten, die sich melden (oft immer dieselben), sorgt Cold Call dafür, dass alle Schüler mental engagiert bleiben. Die Technik sollte jedoch in einer positiven, unterstützenden Atmosphäre eingesetzt werden, nicht als „Gotcha“-Moment.

Technik 33: Ratio

Diese Technik betont die Bedeutung des Verhältnisses zwischen Lehrer- und Schüleraktivität. Ziel ist es, den Anteil der kognitiven Arbeit, die von den Schülern geleistet wird, zu maximieren.

Techniken zum Aufbau einer starken Klassenkultur

Technik 43: Positive Framing

Anweisungen und Korrekturen werden positiv formuliert, indem betont wird, was Schüler tun sollen, anstatt was sie nicht tun sollen.

Statt: „Hört auf zu schwatzen!“ Besser: „Ich brauche eure volle Aufmerksamkeit, damit wir mit dem spannenden Experiment beginnen können.“

Technik 45: Threshold

Lehrer begrüßen jeden Schüler persönlich an der Tür, setzen Standards für den Eintritt ins Klassenzimmer und bauen so positive Beziehungen auf.

Techniken für Tempo und Rhythmus

Technik 56: The Joy Factor

Erfolgreiche Lehrer bauen bewusst Momente der Freude und Begeisterung in ihren Unterricht ein, um Engagement und positive Assoziationen mit dem Lernen zu fördern.

Diese Techniken sind nur ein kleiner Ausschnitt aus Lemovs umfangreichem Repertoire. Was sie alle gemeinsam haben, ist ihre Konkretheit und unmittelbare Anwendbarkeit im Klassenzimmer.

Lemovs Einfluss auf die moderne Bildungslandschaft

Doug Lemovs Arbeit hat die Bildungslandschaft weltweit nachhaltig beeinflusst. Sein Buch „Teach Like a Champion“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist zu einem Standardwerk in der Lehrerausbildung und -fortbildung geworden.

Einfluss auf die Lehrerausbildung

Viele Lehrerausbildungsprogramme haben Lemovs Techniken in ihre Curricula integriert. Anstatt sich ausschließlich auf theoretische Konzepte zu konzentrieren, trainieren angehende Lehrer nun konkrete Unterrichtstechniken – ähnlich wie Ärzte spezifische medizinische Verfahren üben.

Die Uncommon Schools, mit denen Lemov verbunden ist, haben ein umfassendes Trainingsprogramm entwickelt, das auf Microteaching und sofortigem Feedback basiert. Lehrer üben spezifische Techniken in simulierten Unterrichtssituationen und erhalten unmittelbare Rückmeldung von Kollegen und Coaches.

Einfluss auf die Schulentwicklung

Schulen auf der ganzen Welt haben Lemovs Ansatz übernommen, um ihre Unterrichtsqualität zu verbessern. Besonders in Schulen mit herausfordernden Bedingungen haben seine Techniken dazu beigetragen, eine strukturierte, positive Lernumgebung zu schaffen.

Doug Lemovs Einfluss auf die Bildung

2008 – 2015

2010

2012

2015

2016

2020

2022

Geschäftsführer der New York State Uncommon Schools

Veröffentlichung von „Teach Like a Champion“

Gründung des Teach Like a Champion-Teams zur Verbreitung der Techniken

Veröffentlichung von „Teach Like a Champion 2.0“ mit erweiterten Techniken

Veröffentlichung von „Reading Reconsidered“, das Lemovs Prinzipien auf den Leseunterricht anwendet

Anpassung der Techniken für den Online-Unterricht während den Schulschließungen & Lockdowns

Veröffentlichung: „Reconnect: Building School Culture for Meaning, Purpose, and Belonging“

Internationaler Einfluss

Obwohl Lemov in den USA arbeitet, hat sein Einfluss längst internationale Dimensionen angenommen. „Teach Like a Champion“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und wird weltweit in der Lehrerausbildung eingesetzt. Besonders in Großbritannien haben seine Ideen starken Anklang gefunden, wo sie die Entwicklung einer evidenzbasierten Unterrichtspraxis beeinflusst haben.

In Deutschland werden seine Techniken zunehmend in Lehrerfortbildungen und pädagogischen Hochschulen diskutiert, wenn auch mit kulturellen Anpassungen. Die Betonung klarer Strukturen und hoher Erwartungen resoniert mit vielen deutschen Pädagogen, die nach praktischen Wegen suchen, um ihren Unterricht zu verbessern.

Einfluss auf die Professionalisierung des Lehrerberufs

Lemovs Arbeit hat dazu beigetragen, das Unterrichten als erlernbares Handwerk zu definieren. Seine zentrale Botschaft – „gute Lehrer können ausgebildet werden“ – hat die Diskussion über Lehrerqualität von angeborenen Talenten hin zu erlernbaren Fähigkeiten verschoben.

Diese Perspektive hat zur Entwicklung spezialisierter Trainingsprogramme geführt, die sich auf das Üben spezifischer Unterrichtstechniken konzentrieren. Ähnlich wie Sportler oder Musiker trainieren Lehrer nun gezielt bestimmte „Moves“, um ihre Wirksamkeit im Klassenzimmer zu verbessern.

Kritik und Kontroversen

Trotz seiner Popularität ist Lemovs Arbeit nicht ohne Kritiker. Die Hauptkritikpunkte lassen sich in mehrere Kategorien einteilen:

Kritik am behavioristischen Ansatz

Einige Kritiker argumentieren, dass Lemovs Techniken zu stark auf Verhaltensmanagement und Kontrolle ausgerichtet sind und zu wenig Raum für Kreativität, kritisches Denken und Schülerautonomie lassen. Sie sehen in seinem Ansatz eine Rückkehr zu einem behavioristischen Bildungsmodell, das nicht den Anforderungen des 21. Jahrhunderts entspricht.

Befürworter entgegnen, dass klare Strukturen und effizientes Klassenmanagement erst den Raum für tieferes Lernen schaffen und dass viele von Lemovs Techniken darauf abzielen, das kognitive Engagement der Schüler zu maximieren.

Kritik am kulturellen Kontext

Andere Kritiker weisen darauf hin, dass Lemovs Techniken in einem spezifischen kulturellen Kontext entwickelt wurden – hauptsächlich in Charter-Schulen in urbanen, sozioökonomisch benachteiligten Gebieten der USA. Sie stellen die Frage, ob diese Techniken in anderen kulturellen und pädagogischen Kontexten gleichermaßen wirksam sind.

Diese Kritik hat zu Diskussionen darüber geführt, wie Lemovs Techniken an verschiedene kulturelle Kontexte angepasst werden können, ohne ihre Wirksamkeit zu verlieren.

Kritik an der empirischen Grundlage

Einige Akademiker kritisieren die methodologische Grundlage von Lemovs Arbeit. Sie argumentieren, dass seine Beobachtungen zwar aufschlussreich, aber nicht systematisch genug sind, um kausale Zusammenhänge zwischen bestimmten Techniken und Schülerleistungen herzustellen.

Lemov selbst hat auf diese Kritik reagiert, indem er betont, dass sein Ziel nicht war, eine wissenschaftliche Studie durchzuführen, sondern praktische Werkzeuge für Lehrer zu entwickeln, die auf Beobachtungen erfolgreicher Praktiken basieren. Interessant ist auch, dass eine der größten Studien im Bereich Bildung (Hattie-Studie), viele seiner Techniken belegt.

Wie bei jeder einflussreichen pädagogischen Methode ist es wichtig, Lemovs Techniken weder unkritisch zu übernehmen noch pauschal abzulehnen. Stattdessen sollten Lehrer sie als Werkzeuge betrachten, die sie an ihren spezifischen Kontext und ihre pädagogischen Ziele anpassen können.

Praktische Anwendung: So setzt Du das Wissen um

Die Stärke von Lemovs Arbeit liegt in ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit. Hier sind konkrete Schritte, wie Du seine Techniken in Deinen eigenen Unterricht integrieren kannst:

Schritt 1: Identifiziere Deine Entwicklungsbereiche

Beginne damit, einen Aspekt Deines Unterrichts zu identifizieren, den Du verbessern möchtest. Dies könnte das Klassenmanagement, die Fragetechnik, das Tempo des Unterrichts oder ein anderer Bereich sein.

Checkliste zur Selbsteinschätzung:

  •  Wie effektiv nutze ich die Unterrichtszeit?
  •  Wie hoch ist der Anteil der Schüler, die aktiv am Unterricht teilnehmen?
  •  Wie klar sind meine Anweisungen und Erklärungen?
  •  Wie gut gelingt es mir, alle Schüler kognitiv zu aktivieren?
  •  Wie effektiv sind meine Übergänge zwischen verschiedenen Unterrichtsphasen?

Schritt 2: Wähle passende Techniken aus

Basierend auf Deiner Selbsteinschätzung, wähle 1-2 Techniken aus Lemovs Repertoire, die zu Deinen Entwicklungsbereichen passen.

Beispiel für verschiedene Entwicklungsbereiche:

Entwicklungsbereich

Empfohlene Techniken

Klassenmanagement

Positive Framing, Strong Voice, 100%

Fragetechnik

Cold Call, No Opt Out, Wait Time

Unterrichtstempo

Brighten Lines, Double Plan, Work the Clock

Schüleraktivierung

Everybody Writes, Turn and Talk, Ratio

Schritt 3: Übe gezielt und regelmäßig

Wie bei jeder Fertigkeit ist regelmäßiges, gezieltes Üben der Schlüssel zur Verbesserung. Konzentriere Dich auf eine Technik und übe sie, bis sie zu einem natürlichen Teil Deines Unterrichtsstils wird.

Übungsplan für die Technik „Cold Call“:

  1. Plane im Voraus 3-5 Fragen für Cold Calls
  2. Notiere die Namen der Schüler, die Du aufrufen möchtest
  3. Achte auf positive, unterstützende Formulierung
  4. Reflektiere nach dem Unterricht: Wie haben die Schüler reagiert? Was könnte ich verbessern?

Schritt 4: Hole Feedback ein

Bitte einen Kollegen, Deinen Unterricht zu beobachten und Dir Feedback zu der spezifischen Technik zu geben, an der Du arbeitest. Alternativ kannst Du auch eine Unterrichtsstunde aufnehmen und selbst analysieren.

Schritt 5: Passe die Techniken an Deinen Kontext an

Lemovs Techniken sind keine starren Rezepte, sondern flexible Werkzeuge, die Du an Deinen spezifischen Kontext anpassen solltest. Berücksichtige dabei:

  • Die Altersgruppe Deiner Schüler
  • Das Fach, das Du unterrichtest
  • Die kulturellen Normen Deiner Schule
  • Deine eigene Persönlichkeit und Deinen Unterrichtsstil

Praxisbeispiel

Maria, Deutschlehrerin an einem Gymnasium, hatte Schwierigkeiten, alle Schüler in Diskussionen einzubeziehen. Sie implementierte die Technik „Cold Call“, passte sie aber an, indem sie den Schülern zunächst Zeit zum Nachdenken und Notieren ihrer Gedanken gab, bevor sie jemanden aufrief. Diese Anpassung reduzierte die Angst der Schüler und führte zu tieferen Diskussionen.

Lemovs Werk im internationalen Kontext

Obwohl Lemovs Techniken in den USA entwickelt wurden, haben sie weltweit Anklang gefunden. Allerdings werden sie in verschiedenen Bildungssystemen unterschiedlich interpretiert und angewendet.

Vergleich mit anderen pädagogischen Ansätzen

Lemovs Arbeit steht in einer interessanten Beziehung zu anderen einflussreichen pädagogischen Ansätzen:

  • Hattie’s Visible Learning: Beide betonen die zentrale Rolle des Lehrers und die Bedeutung von Feedback und klaren Zielen. Während Hattie sich auf Meta-Analysen stützt, basiert Lemovs Arbeit auf direkter Beobachtung.
  • Finnisches Bildungsmodell: Im Kontrast zu Finnlands Betonung von Lehrerautonomie und weniger strukturierten Lernumgebungen steht Lemovs Fokus auf präzisen Techniken und strukturierten Routinen.
  • Asiatische Bildungssysteme: Es gibt interessante Parallelen zwischen Lemovs Betonung von Übung, Meisterschaft und effizienter Nutzung der Unterrichtszeit und den Ansätzen in hochleistenden asiatischen Bildungssystemen.

Kulturelle Anpassungen

Bei der Übertragung von Lemovs Techniken in andere kulturelle Kontexte sind Anpassungen notwendig:

  • In Bildungssystemen mit stärkerer Betonung von Schülerautonomie werden Lemovs Techniken oft mit mehr schülerzentrierten Ansätzen kombiniert.
  • In kollektivistisch orientierten Kulturen können Techniken, die auf individuelles Aufrufen abzielen, anders wahrgenommen werden als in individualistischen Kulturen.
  • Die Balance zwischen Struktur und Freiheit wird je nach kulturellem Kontext unterschiedlich interpretiert.

Lemov und die Wissenschaft des Lernens

Ein interessanter Aspekt von Lemovs Arbeit ist, dass viele seiner durch Beobachtung identifizierten Techniken durch neuere Erkenntnisse der Lernwissenschaften unterstützt werden.

Kognitive Wissenschaft und Lemovs Techniken

Mehrere von Lemovs Techniken spiegeln Prinzipien wider, die von kognitiven Wissenschaftlern identifiziert wurden:

  • Retrieval Practice: Techniken wie „Cold Call“ und „Show Call“ fördern das aktive Abrufen von Informationen, was nachweislich das Lernen verstärkt.
  • Spaced Repetition: Lemovs Betonung regelmäßiger Wiederholung (z.B. durch „Do Now“-Aktivitäten) entspricht dem wissenschaftlich belegten Prinzip der verteilten Wiederholung.
  • Feedback: Die unmittelbare, spezifische Rückmeldung, die in vielen von Lemovs Techniken eingebettet ist, wird durch Forschung zur Wirksamkeit von Feedback unterstützt.

Neurowissenschaftliche Perspektiven

Aus neurowissenschaftlicher Sicht lassen sich einige von Lemovs Ansätzen erklären:

  • Die Betonung klarer Strukturen und Routinen reduziert die kognitive Belastung und ermöglicht es dem Gehirn, sich auf den Lerninhalt zu konzentrieren.
  • Techniken zur Maximierung der Aufmerksamkeit (wie „SLANT“ – siehe Glossar unten) berücksichtigen, dass Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource ist und aktiv gemanagt werden muss.
  • Der Fokus auf aktive Beteiligung aller Schüler fördert die neuronale Aktivierung, die für effektives Lernen notwendig ist.
  • Lemovs Techniken zur Fehlerkultur (wie in seinen Büchern beschrieben) stimmen mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen überein, dass Fehler wichtige Lernchancen darstellen. Das Gehirn lernt besonders effektiv aus Fehlern, wenn diese in einer sicheren, unterstützenden Umgebung gemacht werden können.

Lemovs Einfluss auf die Professionalisierung des Lehrerberufs

Lemovs Arbeit hat maßgeblich dazu beigetragen, das Unterrichten als erlernbares Handwerk zu definieren. Seine zentrale Botschaft – „gute Lehrer können gemacht werden“ – hat die Diskussion über Lehrerqualität von angeborenen Talenten hin zu erlernbaren Fähigkeiten verschoben.

Diese Perspektive hat zur Entwicklung spezialisierter Trainingsprogramme geführt, die sich auf das Üben spezifischer Unterrichtstechniken konzentrieren. Ähnlich wie Sportler oder Musiker trainieren Lehrer nun gezielt bestimmte „Moves“, um ihre Wirksamkeit im Klassenzimmer zu verbessern.

Zukunftsperspektiven und anhaltende Relevanz

Obwohl „Teach Like a Champion“ bereits vor über einem Jahrzehnt veröffentlicht wurde, bleibt Lemovs Arbeit hochrelevant für die heutige Bildungslandschaft. Seine Techniken werden kontinuierlich weiterentwickelt und an neue Herausforderungen angepasst.

Anpassung an neue Bildungsrealitäten

Die Lockdowsn haben die Bildungslandschaft dramatisch verändert und neue Herausforderungen für Lehrer geschaffen. Lemov und sein Team haben schnell reagiert und Anpassungen ihrer Techniken für den Online-Unterricht entwickelt. Diese Flexibilität zeigt die Anpassungsfähigkeit seines Ansatzes an veränderte Bildungsrealitäten.

Auch für hybride Lernumgebungen und den zunehmenden Einsatz von Technologie im Klassenzimmer werden Lemovs Techniken kontinuierlich weiterentwickelt. Die Grundprinzipien – klare Strukturen, hohe Erwartungen und maximale Schülerbeteiligung – bleiben dabei bestehen.

Integration mit anderen pädagogischen Ansätzen

In der Zukunft ist eine verstärkte Integration von Lemovs praktischen Techniken mit anderen pädagogischen Ansätzen zu erwarten. Besonders vielversprechend erscheint die Verbindung mit:

  • Erkenntnissen aus der kognitiven Wissenschaft zum effektiven Lernen
  • Ansätzen zur Förderung von sozial-emotionalem Lernen
  • Methoden zur Personalisierung des Lernens
  • Konzepten zur Förderung von Kreativität und kritischem Denken

Diese Integration könnte zu einem umfassenderen Modell effektiven Unterrichts führen, das sowohl die praktischen Aspekte des Klassenmanagements als auch tiefere pädagogische Ziele berücksichtigt.

Anhaltende Bedeutung für die Lehrerausbildung

Lemovs Einfluss auf die Lehrerausbildung wird voraussichtlich weiter zunehmen. Sein Ansatz, Unterrichten als erlernbares Handwerk zu betrachten, hat das Potenzial, die Kluft zwischen Theorie und Praxis in der Lehrerausbildung zu überbrücken.

Infobox: Lemovs Vermächtnis
Doug Lemovs bleibendes Vermächtnis könnte weniger in den spezifischen Techniken liegen, die er beschrieben hat, sondern in der grundlegenden Veränderung unserer Sichtweise auf den Lehrerberuf: weg von der Vorstellung des „geborenen Lehrers“ hin zu einem Verständnis von Unterrichten als erlernbarem, übbarem Handwerk.

FAQ zu Doug Lemov und seinen Methoden

Wer ist Doug Lemov und was macht ihn besonders?

Doug Lemov ist ein amerikanischer Pädagoge und Autor des Bestsellers „Teach Like a Champion“. Was ihn besonders macht, ist sein empirischer Ansatz: Anstatt neue Theorien zu entwickeln, beobachtete er systematisch erfolgreiche Lehrer und dokumentierte ihre Techniken. Er ist auch Gründungsmitglied von Uncommon Schools, einer gemeinnützigen Organisation, die Charter-Schulen in den USA betreibt.

Sind Lemovs Techniken wissenschaftlich belegt?

Lemovs Techniken basieren primär auf Beobachtungen erfolgreicher Lehrer, nicht auf kontrollierten wissenschaftlichen Studien. Allerdings werden viele seiner Techniken durch Erkenntnisse aus der kognitiven Wissenschaft und Lernforschung unterstützt. Die Wirksamkeit seiner Methoden wird durch die Erfolge der Schulen, die sie implementieren, indirekt bestätigt.

Funktionieren Lemovs Techniken in allen Schulformen und für alle Altersgruppen?

Lemovs Techniken wurden ursprünglich in Charter-Schulen in sozioökonomisch benachteiligten Gebieten der USA entwickelt. Sie können jedoch an verschiedene Kontexte angepasst werden. Viele Lehrer an unterschiedlichen Schulformen und für verschiedene Altersgruppen haben die Techniken erfolgreich adaptiert, wobei Anpassungen an den spezifischen Kontext manchmal notwendig sind.

Wie kann ich als Lehrer mit Lemovs Techniken beginnen?

Der beste Einstieg ist, mit 1-2 spezifischen Techniken zu beginnen, die einen Bereich adressieren, den Du verbessern möchtest. Studiere die Technik gründlich, plane ihren Einsatz im Unterricht, übe sie konsequent und reflektiere regelmäßig über ihre Wirksamkeit. Suche nach Möglichkeiten, Feedback von Kollegen zu erhalten oder Deinen Unterricht aufzunehmen, um Deine Umsetzung zu analysieren.

Schränken Lemovs strukturierte Techniken die Kreativität und Autonomie der Schüler ein?

Dies ist ein häufiger Kritikpunkt. Befürworter argumentieren jedoch, dass klare Strukturen und effizientes Klassenmanagement erst den Raum für Kreativität und tieferes Lernen schaffen. Viele Lehrer kombinieren Lemovs Techniken mit schülerzentrierten, kreativen Ansätzen und finden, dass die Struktur tatsächlich mehr Freiheit ermöglicht, da weniger Zeit für Klassenmanagement aufgewendet werden muss. Dies kennen wir auch aus der Kreativitätsforschung, wenn wir nur begrenzte Ressourcen bekommen, sind wir oft kreativer als mit Unbegrenzten. Es ist also wahrscheinlich, dass es sogar umgekehrt ist.

Wie hat sich Lemovs Arbeit seit der ersten Veröffentlichung von „Teach Like a Champion“ entwickelt?

Seit der Erstveröffentlichung 2010 hat Lemov seine Techniken kontinuierlich weiterentwickelt. „Teach Like a Champion 3.0“ erweiterte die ursprünglichen 49 Techniken auf 63 und fügte umfangreiches Videomaterial hinzu. Später folgten spezialisierte Bücher wie „Reading Reconsidered“ zum Leseunterricht und „The Coach’s Guide to Teaching“ zur Anwendung seiner Prinzipien im Sporttraining. Während den Schulschließungen und Lockdowns entwickelte er Anpassungen seiner Techniken für den Online-Unterricht.

Gibt es Kritik an Lemovs Ansatz?

Ja, Kritiker argumentieren, dass sein Ansatz zu behavioristisch sei, zu wenig Raum für Schülerautonomie lasse und in einem spezifischen kulturellen Kontext entwickelt wurde, der nicht universell übertragbar ist. Diese Kritiker bemängeln, dass allerdings bisher nur in der Theorie, nicht anhand praktischer Beispiele. Einige kritisieren auch die methodologische Grundlage seiner Arbeit als nicht systematisch genug. Lemov selbst betont, dass seine Techniken als flexible Werkzeuge verstanden werden sollten, die an den jeweiligen Kontext angepasst werden müssen.

Wie verhält sich Lemovs Arbeit zu anderen pädagogischen Ansätzen?

Lemovs Arbeit ergänzt viele andere pädagogische Ansätze. Es gibt interessante Überschneidungen mit Hatties „Visible Learning“ in der Betonung der Lehrerrolle und der Bedeutung von Feedback. Im Kontrast steht sein strukturierter Ansatz zu offeneren pädagogischen Modellen wie dem finnischen Bildungssystem. Viele Lehrer kombinieren Lemovs Techniken erfolgreich mit anderen Ansätzen, um einen ausgewogenen Unterrichtsstil zu entwickeln.

Glossar der wichtigsten Begriffe

No Opt Out: Eine Technik, die sicherstellt, dass Schüler sich nicht aus dem Lernprozess „ausklinken“ können. Wenn ein Schüler eine Frage nicht beantworten kann, kehrt der Lehrer nach einem Hinweis oder nachdem ein anderer Schüler geantwortet hat, zum ersten Schüler zurück.

Cold Call: Eine Fragetechnik, bei der der Lehrer Schüler aufruft, ohne dass diese sich melden müssen. Dies erhöht die Aufmerksamkeit aller Schüler, da jeder jederzeit aufgerufen werden könnte.

Right is Right: Eine Technik, bei der der Lehrer nur vollständig korrekte Antworten akzeptiert und mit den Schülern arbeitet, bis die Antwort vollständig korrekt ist.

Positive Framing: Die Praxis, Anweisungen und Korrekturen positiv zu formulieren, indem betont wird, was Schüler tun sollen, anstatt was sie nicht tun sollen.

Ratio: Das Verhältnis zwischen Lehrer- und Schüleraktivität. Ziel ist es, den Anteil der kognitiven Arbeit, die von den Schülern geleistet wird, zu maximieren.

SLANT: Ein Akronym für erwünschtes Schülerverhalten: Sit up (aufrecht sitzen), Listen (zuhören), Ask and answer questions (Fragen stellen und beantworten), Nod your head (mit dem Kopf nicken), Track the speaker (dem Sprecher folgen).

Threshold: Eine Technik, bei der Lehrer jeden Schüler persönlich an der Tür begrüßen, Standards für den Eintritt ins Klassenzimmer setzen und positive Beziehungen aufbauen.

Wait Time: Die bewusste Pause nach einer Frage, die Schülern Zeit zum Nachdenken gibt, bevor jemand aufgerufen wird.

Everybody Writes: Eine Technik, bei der alle Schüler ihre Gedanken aufschreiben, bevor eine Diskussion beginnt, um die Beteiligung und Tiefe der Antworten zu erhöhen.

Double Plan: Die Praxis, nicht nur zu planen, was der Lehrer tun wird, sondern auch, was die Schüler während jeder Phase des Unterrichts tun sollen.

Weiterführende Ressourcen

Bücher von Doug Lemov

Lemov, D., Woolway, E., & Yezzi, K. (2012). Practice Perfect: 42 Rules for Getting Better at Getting Better. Jossey-Bass.

Lemov, D., Driggs, C., & Woolway, E. (2016). Reading Reconsidered: A Practical Guide to Rigorous Literacy Instruction. Jossey-Bass.

Lemov, D. (2020). The Coach’s Guide to Teaching. Jossey-Bass.

Lemov, D. (2021). Unterricht im digitalen Klassenzimmer: So meistern Sie die neuen schulischen Herausforderungen. Wiley-VCH.

Lemov, D., Lewis, H., Williams, D., & Frazier, D. (2022). Reconnect: Building School Culture for Meaning, Purpose, and Belonging. Jossey-Bass.

Lemov, D. (2023). Unterrichte wie ein Champion: 63 Techniken, die Schüler zum Lernen bringen. Teach Like a Champion – Deutschsprachige Ausgabe (M. Weber, Übers.). Wiley-VCH.

Websites und Online-Ressourcen

Teach Like a Champion Website – Offizielle Website mit Blog, Videos und Ressourcen

Uncommon Schools – Die Charter-School-Organisation, mit der Lemov verbunden ist

Beitragsreihe: inspirierende Persönlichkeiten

Dies ist ein Beitrag der Reihe: Persönlichkeiten die Bildung positiv beeinflussen

Beitragsreihe

Autor: Marian Zefferer, MSc.

Psychologe, Papa, NLP-Lehrtrainer & Autor von Bildungsimpuls.com. Dort lebe ich meine Vision, einen Beitrag für unser marodes Bildungssystem zu liefern, damit Lernen wieder geil wird und Bildung als das gesehen wird, was es ist: das geistige Gold der Gesellschaft.


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