Die Hattie-Studie: Visible Learning
Die größte Bildungsforschung: Was wirkt im Unterricht?
Was wäre, wenn wir genau wüssten, welche Faktoren im Bildungsbereich tatsächlich wirken und welche nicht? Wenn wir die Effektivität verschiedener Unterrichtsmethoden, Lernstrategien und schulischer Rahmenbedingungen präzise messen könnten? Genau diese Fragen hat sich der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie gestellt – und mit seiner bahnbrechenden Studie „Visible Learning“ beantwortet.
Die Hattie-Studie ist die umfassendste Meta-Analyse der Bildungsforschung, die je durchgeführt wurde. Sie fasst die Ergebnisse von über 2.100 Meta-Analysen zusammen, die ihrerseits auf mehr als 95.000 Einzelstudien mit Millionen von Schülerinnen und Schülern basieren. Das Ergebnis ist eine Rangliste von über 350 Einflussfaktoren auf den Lernerfolg – von der Klassenwiederholung bis zum Feedback, von der Klassengröße bis zur Lehrerausbildung.
Doch „Visible Learning“ ist mehr als nur eine Sammlung von Daten. Es ist ein Paradigmenwechsel in der Bildungsforschung und -praxis. Hatties zentrale Botschaft lautet: Lernen muss sichtbar gemacht werden – für Lehrende und Lernende gleichermaßen. Nur wenn wir verstehen, wie Lernen funktioniert und welche Faktoren es beeinflussen, können wir Bildung wirklich verbessern.
Wichtig: Die Hattie-Studie ist vor allem für das „klassische Schulsystem“ interessant. Moderne und alternative Bildungsansätze wie z.B. Homeschooling, die Lernwerkstatt im Wasserschloss oder die Alemannenschule kommen dort nicht direkt vor. Das bedeutet, die Studie ist sehr interessant, wenn es darum geht, die Bildung im aktuellen System deutlich zu verbessern, bringt aber wenig Erkenntnisse zu einer Fundamentalkritik unseres gängigen Schulsystems.
In diesem umfassenden Artikel werden wir die Hattie-Studie in all ihren Facetten beleuchten. Wir werden ihre Methodik erklären, die wichtigsten Ergebnisse vorstellen und ihre praktischen Implikationen für den Bildungsalltag diskutieren.
Die Entstehung der Hattie-Studie
Die Person hinter der Studie: John Hattie
John Hattie ist kein gewöhnlicher Bildungsforscher. Geboren in Neuseeland, hat er seine akademische Karriere der Frage gewidmet, was wirklich wirksamen Unterricht ausmacht. Als emeritierter Professor an der University of Melbourne und einer der meistzitierten Bildungsforscher weltweit hat Hattie die Bildungslandschaft nachhaltig geprägt.
Seine Karriere begann mit Studien zur Selbstkonzeptforschung, bevor er sich der empirischen Bildungsforschung zuwandte. Was Hattie von vielen anderen Forschern unterscheidet, ist sein Bestreben, die Kluft zwischen Forschung und Praxis zu überbrücken. Er möchte nicht nur wissen, was funktioniert, sondern auch, warum es funktioniert und wie es in der Praxis umgesetzt werden kann.
„Ich bin ein Statistiker, kein Theoretiker,“ beschreibt sich Hattie selbst. Diese pragmatische Herangehensweise spiegelt sich in seiner Arbeit wider, die stets darauf abzielt, konkrete, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen für Lehrende zu entwickeln.
Heute ist Hattie nicht nur als Forscher, sondern auch als Autor zahlreicher Bücher und als gefragter Redner weltweit bekannt. Seine Arbeit wurde in 29 Sprachen übersetzt und hat mehr als 2 Millionen Leser erreicht. Gemeinsam mit Kollegen wie Klaus Zierer hat er das Konzept des „Visible Learning“ kontinuierlich weiterentwickelt und in verschiedene Bildungskontexte übertragen.
Methodische Grundlagen: Meta-Analyse der Meta-Analysen
Die Besonderheit der Hattie-Studie liegt in ihrer Methodik: Sie ist eine Meta-Analyse von Meta-Analysen, also eine „Meta-Meta-Analyse“ oder, wie Hattie es nennt, eine „Mega-Analyse“. Aber was bedeutet das genau?
Eine Meta-Analyse ist eine statistische Methode, um die Ergebnisse mehrerer Einzelstudien zu einem bestimmten Thema zusammenzufassen. Sie ermöglicht es, übergreifende Schlussfolgerungen zu ziehen, die über die Erkenntnisse einzelner Studien hinausgehen. Hattie ging noch einen Schritt weiter und analysierte nicht einzelne Studien, sondern bereits vorhandene Meta-Analysen.
Die erste Version von „Visible Learning“ (2009) basierte auf 800 Meta-Analysen, die ihrerseits etwa 50.000 Einzelstudien mit rund 250 Millionen Schülerinnen und Schülern umfassten. In der aktuellsten Version „Visible Learning: The Sequel“ (2023) wurden diese Zahlen auf über 2.100 Meta-Analysen mit mehr als 95.000 Einzelstudien erweitert.
Dieser umfassende Ansatz ermöglicht es Hattie, die Wirksamkeit verschiedener Einflussfaktoren auf den Lernerfolg direkt miteinander zu vergleichen – unabhängig davon, ob es sich um Unterrichtsmethoden, Schulstrukturen oder individuelle Merkmale der Lernenden handelt.
Die Bedeutung der Effektstärke d
Um die Wirksamkeit verschiedener Faktoren vergleichbar zu machen, verwendet Hattie die statistische Kennzahl der „Effektstärke“ (d). Diese gibt an, wie stark ein bestimmter Faktor den Lernerfolg beeinflusst.
Die Effektstärke wird folgendermaßen interpretiert:
- d < 0: Negativer Effekt (der Faktor schadet dem Lernerfolg)
- 0 < d < 0,2: Vernachlässigbarer Effekt
- 0,2 < d < 0,4: Kleiner Effekt
- 0,4 < d < 0,6: Mittlerer Effekt
- d > 0,6: Großer Effekt
Hattie definiert d = 0,4 als „Umschlagpunkt“ (hinge point). Faktoren mit einer Effektstärke über 0,4 betrachtet er als besonders wirksam, da sie über dem durchschnittlichen Lernzuwachs eines Schuljahres (d = 0,4) liegen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass auch Faktoren mit niedrigeren Effektstärken das Lernen positiv beeinflussen können. Der Umschlagpunkt dient lediglich als Orientierung, um besonders wirksame Faktoren zu identifizieren.
Das Konzept des „Visible Learning“: Lernen sichtbar machen
Was bedeutet „lernen sichtbar machen“?
Der Begriff „Visible Learning“ – zu Deutsch „Sichtbares Lernen“ – steht im Zentrum von Hatties Arbeit. Aber was genau bedeutet er?
Sichtbares Lernen beschreibt einen Zustand, in dem Lehrende den Lernprozess durch die Augen ihrer Schülerinnen und Schüler sehen und Lernende zu ihren eigenen Lehrern werden. Es geht darum, Lernen transparent zu machen – für alle Beteiligten.
Hattie erklärt:
„Visible Learning tritt ein, wenn Lehrende das Lernen durch die Augen der Lernenden sehen und Lernende sich selbst durch die Augen ihrer Lehrenden sehen. Wenn Lernende zu ihren eigenen Lehrenden werden, zeigen sie genau jene selbstregulierenden Eigenschaften, die bei erfolgreichen Lernenden so erwünscht sind.“
Konkret bedeutet sichtbares Lernen:
- Klare Lernziele und Erfolgskriterien: Lernende wissen, was sie lernen sollen und woran sie erkennen, dass sie erfolgreich waren.
- Transparente Lernprozesse: Der Weg zum Ziel wird offengelegt und diskutiert.
- Aktive Beteiligung: Lernende sind aktive Teilnehmer, nicht passive Empfänger.
- Kontinuierliches Feedback: Regelmäßige Rückmeldungen zum Lernfortschritt in beide Richtungen.
- Metakognition: Reflexion über den eigenen Lernprozess und die angewandten Strategien.
Sichtbares Lernen steht im Gegensatz zu „unsichtbarem Lernen“, bei dem Lernziele unklar sind, Lernprozesse im Verborgenen bleiben und Feedback fehlt oder zu spät kommt.
Die Rolle der Lehrperson als „change agent“
Eine zentrale Erkenntnis der Hattie-Studie ist die herausragende Bedeutung der Lehrperson für den Lernerfolg. Hattie spricht von Lehrenden als „change agents“ – als Akteure, die Veränderung bewirken können und sollen.
Die wirksamsten Lehrpersonen zeichnen sich laut Hattie durch folgende Merkmale aus:
- Sie evaluieren ihren Einfluss: Sie sammeln kontinuierlich Daten über die Wirksamkeit ihres Unterrichts und passen ihn entsprechend an.
- Sie sind leidenschaftlich: Sie zeigen Begeisterung für ihr Fach und für das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler.
- Sie bauen Beziehungen auf: Sie schaffen ein positives Lernklima, in dem Fehler als Lernchancen gesehen werden.
- Sie geben wirksames Feedback: Sie liefern Rückmeldungen, die den Lernenden helfen, sich weiterzuentwickeln.
- Sie sind Experten für Lernprozesse: Sie verstehen, wie Lernen funktioniert und können dieses Wissen im Unterricht anwenden.
Hattie betont, dass es nicht primär auf bestimmte Unterrichtsmethoden ankommt, sondern auf die Haltung und das Handeln der Lehrperson. Die wirksamsten Lehrenden reflektieren ständig ihren Einfluss auf das Lernen und sind bereit, ihre Praktiken anzupassen, wenn sie nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen.
Die 10 Mindframes für erfolgreiches Lehren
In ihrem Buch „10 Mindframes for Visible Learning“ haben John Hattie und Klaus Zierer zehn grundlegende Denkhaltungen (Mindframes) identifiziert, die erfolgreiche Lehrende auszeichnen:
- „Ich sehe mich als Evaluator meines Einflusses auf das Lernen.“ Erfolgreiche Lehrende evaluieren kontinuierlich, welchen Einfluss ihr Handeln auf das Lernen hat.
- „Ich sehe Feedback und Fehler als Chancen.“ Sie betrachten Fehler als Lernchancen und nutzen Feedback in beide Richtungen.
- „Ich arbeite mit anderen zusammen, um meinen Einfluss zu maximieren.“ Sie kooperieren mit Kolleginnen und Kollegen, um gemeinsam besser zu werden.
- „Ich bin überzeugt, dass der Schlüssel zum Erfolg die Herausforderung ist.“ Sie stellen angemessen hohe Anforderungen an alle Lernenden.
- „Ich entwickle positive Beziehungen und ein positives Lernklima.“ Sie schaffen eine Atmosphäre des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung.
- „Ich habe hohe Erwartungen an alle Lernenden.“ Sie glauben an das Potenzial aller Schülerinnen und Schüler.
- „Ich spreche die Sprache des Lernens.“ Sie kommunizieren klar über Lernziele, -prozesse und -erfolge.
- „Ich informiere die Lernenden von Beginn an über die Erfolgskriterien.“ Sie machen transparent, woran erfolgreiche Leistungen erkannt werden können.
- „Ich baue auf Dialog statt auf Monolog.“ Sie fördern den Austausch und die Diskussion im Unterricht und meiden lange Vorträge zugunsten aktiver Beteiligung.
- „Ich liebe Herausforderungen und gebe nie auf, allen zum Erfolg zu verhelfen.“ Sie zeigen Beharrlichkeit und Leidenschaft für ihren Beruf und setzen sich unermüdlich für den Erfolg aller Lernenden ein.
Diese Mindframes bilden die Grundlage für eine Haltung, die erfolgreiches Lehren und Lernen ermöglicht. Sie sind nicht als starre Regeln zu verstehen, sondern als Orientierungspunkte für die eigene professionelle Entwicklung.
Die wichtigsten Ergebnisse der Hattie-Studie
Die Top 10 der unwirksamsten(!) Einflussgrößen aus der Hattie-Studie
Hier sind die Faktoren mit den niedrigsten Effektstärken, die laut Hatties Forschung kaum oder sogar negativ auf den Lernerfolg wirken:
- Sitzenbleiben/Klassenwiederholung (d = -0,16): Das Wiederholen einer Klasse hat im Durchschnitt negative Auswirkungen auf den Lernerfolg und das Selbstkonzept der Schülerinnen und Schüler.
- Fernsehen (d = -0,18): Übermäßiger Fernsehkonsum wirkt sich negativ auf schulische Leistungen aus.
- Schulwechsel (d = -0,34): Häufige Schulwechsel beeinträchtigen die Lernentwicklung.
- Sommerferien (d = -0,02): Während der langen Sommerferien gehen Lerneffekte teilweise leicht zurück, besonders bei benachteiligten Schülerinnen und Schülern. (Anhand der Effektstärke kann man aber auch sehen, dass eine kürzere Ferienzeit wenig bewirken würde, UND wir sprechen hier von Ergebnissen in den USA, wo die Sommerferien bis zu 3 Monate(!) dauern können)
- Offener Unterricht (d = 0,01): Völlig offene, unstrukturierte Lernumgebungen ohne klare Führung zeigen kaum positive Effekte. (Anders als bei vielen Vorzeigeprojekten wie z.B. der Alemannen-Schule, dort hat der offene Unterricht ein strukturiertes Konzept und ist wirksam!)
- Jahrgangsübergreifender Unterricht (d = 0,04): Die bloße Mischung verschiedener Jahrgänge bringt ohne spezifische pädagogische Konzepte wenig. (Auch hier braucht es ein sinnvolles Konzept wie bei der Lernwerkstätte im Wasserschloss oder der Alemannenschule)
- Webbasiertes Lernen (d = 0,18): Reines Online-Lernen ohne Begleitung und Feedback zeigt nur geringe Effekte. (Hier muss hinzugefügt werden, dass neue Technologien in Studien oft (kurzfristig) einen positiven Effekt zeigen, der sich bei Normalisierung (jeder hat einen PC zu Hause) wieder legen, der Effekt könnte also noch schwächer sein!)
- Hausaufgaben in der Grundschule (d = 0,10): Hausaufgaben haben in der Primarstufe kaum messbare positive Effekte.
- Verkleinerung der Klassengröße (d = 0,21): Die bloße Reduzierung der Klassengröße ohne Anpassung der Unterrichtsmethoden bringt weniger als oft angenommen.
- Diverse Störungsbilder, Krankheiten und Ängste (d = -0,72 bis -0,18): Asperger, Angst vor Prüfungen, Lockdowns, Mobbing, usw.
Diese Ergebnisse sind oft überraschend und teilweise kontrovers, da sie gängigen Annahmen und bildungspolitischen Maßnahmen widersprechen. Sie zeigen, dass viele kostspielige und aufwändige Interventionen weniger wirksam sind als angenommen.
Die Top 20 der wirksamsten Einflussfaktoren und ihre praktische Umsetzung
Hier sind die Faktoren mit den höchsten Effektstärken und Tipps für ihre praktische Umsetzung:
- Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus (d = 1,44)
- Wenn Lernende ihre eigene Leistung realistisch einschätzen können, verbessert sich ihr Lernerfolg erheblich, da sie ihre Stärken und Schwächen kennen und gezielt daran arbeiten können.
- Praktische Umsetzung: Schülerinnen und Schüler regelmäßig ihre eigene Leistung einschätzen lassen, bevor sie Feedback erhalten; Reflexionsbögen einsetzen; Selbsteinschätzung vor Tests durchführen und später mit den tatsächlichen Ergebnissen vergleichen.
- Kognitive Entwicklungsstufe nach Piaget (d = 1,28)
- Je entwickelter Kinder (nach den 4 Stufen von Piaget) bereits sind, desto besser lernen sie. Allerdings basiert dieser Faktor nur auf einer Meta-Analyse von 1988.
- Praktische Umsetzung: Man könnte zwar Denkstrategien unterrichten, wahrscheinlich ist jedoch, dass ein Smartphone-Verbot oder Kleinkinder, die Emmi-Pikler Räume besuchten mehr Effekte auf die kognitive Entwicklungsstufe haben.
- Formative Evaluation des Unterrichts (d = 0,90)
- Kontinuierliche Überprüfung des Lernstands während des Unterrichts, um den Unterricht entsprechend anzupassen und zu verbessern.
- Praktische Umsetzung: Regelmäßiges Feedback von Schülern zum Unterricht einholen; kurze Umfragen am Ende der Stunde durchführen („Exit-Tickets“); Unterricht basierend auf diesem Feedback anpassen.
- Feedback (d = 0,70)
- Spezifische, zeitnahe und handlungsorientierte Rückmeldungen zum Lernprozess, die den Lernenden helfen zu verstehen, wo sie stehen und wie sie weiterkommen können.
- Praktische Umsetzung: Auf drei Feedback-Ebenen achten: Aufgabe, Prozess und Selbstregulation; konkrete nächste Schritte aufzeigen; pauschales Lob und schwammige Aussage vermeiden („Du bist intelligent, Anna“, „Das geht noch besser Friedrich“). Weitere Informationen dazu gibt es nach dieser Aufzählung.
- Lehrer-Schüler-Beziehung (d = 0,72)
- Eine vertrauensvolle, respektvolle Beziehung zwischen Lehrperson und Lernenden, die von gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist.
- Praktische Umsetzung: Authentisches Interesse an den Schülern zeigen; Vertrauen durch Verlässlichkeit aufbauen; aktives Zuhören praktizieren; individuelle Stärken anerkennen. (Vgl. Rosenthal-Studie)
- Micro-Teaching (d = 0,88)
- Lehrkräfte üben und analysieren kleine Unterrichtssequenzen, oft mit Videoaufzeichnung, um ihre Lehrtechniken gezielt zu verbessern.
- Praktische Umsetzung: Unterrichtssequenzen aufzeichnen und analysieren; kollegiale Hospitationen mit gezieltem Feedback durchführen; spezifische Unterrichtsfertigkeiten isoliert üben.
- Klarheit der Lehrperson (d = 0,75)
- Verständliche, strukturierte Erklärungen und Anweisungen, die den Schülern helfen, den Lernstoff und die Erwartungen zu verstehen.
- Praktische Umsetzung: Lernziele klar kommunizieren; strukturierte Erklärungen mit logischem Aufbau geben; Fachsprache angemessen verwenden und bei Bedarf erklären. Videoanalysen von sich selbst beim unterrichten machen.
- Reziprokes Lehren (d = 0,74)
- Schüler übernehmen abwechselnd die Lehrerrolle und leiten Gespräche über Lerninhalte, wodurch sie tieferes Verständnis entwickeln.
- Praktische Umsetzung: Schüler in die Lehrerrolle schlüpfen lassen; Vier-Schritte-Methode anwenden: 1. Vorhersagen: Schüler überlegen, worum es im Text geht (Vorwissen wird aktiviert), 2. Fragen stellen: Schüler formulieren Fragen zum Gelernten, 3. Klären: Unklare Begriffe oder Zusammenhänge werden erklärt, 4. Zusammenfassen: Schüler geben den Lerninhalt in eigenen Worten wieder; Peer-Teaching-Formate etablieren.
- Angemessene Herausforderungen (d = 0,72)
- Aufgaben, die weder zu leicht noch zu schwer sind, sondern in der „Zone der nächsten Entwicklung“ liegen und Schüler optimal fordern.
- Praktische Umsetzung: Aufgaben mit optimaler Schwierigkeit stellen; differenzierte Anforderungsniveaus anbieten; Unterstützung schrittweise reduzieren (Scaffolding).
- Klassendiskussionen (d = 0,82)
- Strukturierte Gespräche im Klassenverband, bei denen Schüler ihre Gedanken austauschen und gemeinsam Wissen konstruieren.
- Praktische Umsetzung: Strukturierte Diskussionsformate etablieren; offene, zum Denken anregende Fragen stellen; alle Schüler einbeziehen, z.B. durch Think-Pair-Share (in Österreich meist Murmelgruppe genannt:).
- Concept Mapping (d = 0,64)
- Visuelle Darstellung von Begriffen und ihren Beziehungen zueinander, die hilft, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und zu strukturieren.
- Praktische Umsetzung: Begriffsnetzwerke zur Strukturierung komplexer Inhalte nutzen; kollaborative Concept Maps in Gruppenarbeit entwickeln; Zusammenhänge visualisieren lassen.
- Kooperatives Lernen (d = 0,59)
- Strukturierte Zusammenarbeit von Schülern in Gruppen, bei der jeder einen Beitrag leistet und alle voneinander lernen.
- Praktische Umsetzung: Gruppenarbeit mit klaren Rollen organisieren; positive Abhängigkeit und individuelle Verantwortlichkeit sicherstellen; Methoden wie Jigsaw oder Placemat einsetzen.
- Direkte Instruktion (d = 0,59)
- Klar strukturierter, lehrergeleiteter Unterricht mit expliziten Zielen, Modellierung, Übung und Feedback.
- Praktische Umsetzung: Klare Zielsetzung und schrittweise Anleitung geben; Vormachen und lautes Denken praktizieren; geführte Übung mit unmittelbarem Feedback anbieten.
- Mastery Learning (d = 0,58)
- Lernansatz, bei dem Schüler erst zum nächsten Lerninhalt übergehen, wenn sie den aktuellen wirklich beherrschen.
- Praktische Umsetzung: Lernstoff in überschaubare Einheiten gliedern; erst weitergehen, wenn grundlegende Konzepte beherrscht werden; zusätzliche Zeit und alternative Erklärungen für schwächere Schüler anbieten.
- Worked Examples (d = 0,57)
- Ausgearbeitete Beispiellösungen, die alle Schritte zur Lösung einer Aufgabe zeigen und erklären.
- Praktische Umsetzung: Musterlösungen mit allen Zwischenschritten zur Verfügung stellen; Lösungswege schrittweise erklären; vom Beispiel zur selbstständigen Anwendung führen.
- Metakognitive Strategien (d = 0,55)
- Techniken, die Schülern helfen, ihr eigenes Denken und Lernen zu planen, zu überwachen und zu bewerten.
- Praktische Umsetzung: Lernstrategien explizit unterrichten; Reflexion über den eigenen Lernprozess anregen; Lerntagebücher oder Portfolios einsetzen.
- Vorwissen aktivieren (d = 0,93)
- Gezieltes Anknüpfen an bereits vorhandenes Wissen, um neue Inhalte besser zu verankern und zu verstehen.
- Praktische Umsetzung: Zu Beginn einer Unterrichtseinheit vorhandenes Wissen erfragen; Mindmaps oder Brainstorming durchführen; Verbindungen zwischen neuem Stoff und bekannten Konzepten herstellen.
- Lehrerfortbildung (d = 0,51)
- Kontinuierliche professionelle Weiterentwicklung von Lehrkräften durch gezielte Fortbildungen und kollegialen Austausch
- Praktische Umsetzung: Regelmäßige, fokussierte Fortbildungen besuchen; professionelle Lerngemeinschaften bilden; neues Wissen im Unterricht anwenden und reflektieren.
- Elterneinbindung (d = 0,50)
- Aktive Einbeziehung der Eltern in den Bildungsprozess ihrer Kinder durch Information, Kommunikation und Zusammenarbeit.
- Praktische Umsetzung: Regelmäßige, konstruktive Kommunikation mit Eltern pflegen; konkrete Hinweise zur Unterstützung zu Hause geben; Eltern in schulische Aktivitäten einbeziehen.
- Problemlöseunterricht (d = 0,61)
- Unterricht, der Schüler mit authentischen Problemen konfrontiert und sie anleitet, Lösungsstrategien zu entwickeln und anzuwenden.
- Praktische Umsetzung: Authentische, komplexe Probleme stellen; heuristische Strategien vermitteln; Reflexion über verschiedene Lösungswege anregen.
Diese Faktoren zeigen, dass erfolgreicher Unterricht vor allem durch klare Strukturen, aktive Beteiligung der Lernenden, kontinuierliches Feedback und eine positive Lernumgebung gekennzeichnet ist. Besonders wirksam sind Maßnahmen, die Lernende zu aktiven Gestaltern ihres eigenen Lernprozesses machen und ihnen helfen, ihre eigenen Fortschritte zu erkennen und zu steuern.
Die Rolle des Feedbacks im Lernprozess
Warum Feedback so wichtig ist
Feedback ist einer der wirksamsten Faktoren für erfolgreiches Lernen worauf Lehrer direkt Einfluss haben (d = 0,70). Es ist der Mechanismus, durch den Lernende erfahren, wo sie stehen, wie sie vorankommen und was ihre nächsten Schritte sein sollten. Hattie und Timperley (2007) definieren Feedback als „Informationen, die von einem Akteur (z.B. Lehrer, Peer, Buch, Eltern, Selbst, Erfahrung) über Aspekte der eigenen Leistung oder des eigenen Verständnisses gegeben werden.“
Die Wirksamkeit von Feedback hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- Zeitpunkt: Feedback sollte zeitnah erfolgen, solange die Aufgabe noch präsent ist.
- Spezifität: Allgemeines Lob („Gut gemacht!“) ist nicht wirksam und kann sich sogar negativ auswirken, im Gegensatz zu spezifischem Feedback von konkreten Aspekten der Arbeit.
- Fokus: Feedback sollte sich auf die Aufgabe und den Lernprozess konzentrieren, nicht auf die Person.
- Handlungsorientierung: Wirksames Feedback zeigt konkrete nächste Schritte auf.
Interessanterweise ist Feedback nicht immer positiv wirksam. Etwa ein Drittel aller Feedback-Interventionen hat negative Effekte, besonders wenn das Feedback vage, personenbezogen oder zu komplex ist.
Die drei Feedback-Ebenen
Hattie und Timperley unterscheiden drei Hauptebenen des Feedbacks, die jeweils unterschiedliche Fragen beantworten:
- Feedback zur Aufgabe (Feed-Up): „Wo gehe ich hin?“ / „Was ist mein Ziel?“
- Klärt Lernziele und Erfolgskriterien
- Macht transparent, was gute Leistung ausmacht
- Beispiel: „Das Ziel dieser Aufgabe ist es, einen überzeugenden Argumentationsaufsatz zu schreiben. Ein erfolgreicher Aufsatz enthält eine klare These, mindestens drei stützende Argumente mit Belegen und geht auf Gegenargumente ein.“
- Feedback zum Prozess (Feed-Back): „Wie komme ich voran?“ / „Wo stehe ich gerade?“
- Informiert über den aktuellen Leistungsstand
- Welche Strategien wurden im Lernprozess angewendet?
- Was lief gut im Lernprozess und was kann verbessert werden?
- Feedback zur Selbstregulation (Feed-Forward): „Wie geht es weiter?“ / „Was ist mein nächster Schritt?“
- Unterstützt die Selbststeuerung des Lernprozesses
- Fördert die Eigenverantwortung und Selbstreflexion
- Beispiel: „Du hast die Hauptargumente klar herausgearbeitet. Als nächsten Schritt könntest du überlegen, wie du Gegenargumente einbeziehst und entkräftest. Welche Strategie würdest du dafür wählen?“
Interessanterweise zeigen Studien, dass Lehrende überwiegend Feedback auf der Aufgabenebene geben (etwa 70-85%), während Lernende sich mehr Feedback auf der Selbstregulationsebene wünschen (etwa 48%). Diese Diskrepanz erklärt, warum Feedback manchmal weniger wirksam ist als es sein könnte.
Praktische Umsetzung wirksamen Feedbacks
Um Feedback wirkungsvoll einzusetzen, sollten folgende Prinzipien beachtet werden:
- Feedback-Matrix verwenden (siehe unter dieser Aufzählung): Je nach Kontext kann ein anderer Aspekt der Feedback-Matrix relevant sein.
- Timing beachten: Feedback sollte zeitnah erfolgen, je früher desto besser.
- Spezifisch und handlungsorientiert: Konkrete Hinweise geben, was gut war und wie Verbesserungen aussehen könnten.
- Dialogisch gestalten: Feedback als Gespräch, nicht als Einbahnstraße verstehen.
- Auf den Lernzyklus abstimmen: In frühen Phasen des Lernens ist Aufgabenfeedback wichtiger, später gewinnt Prozess- und Selbstregulationsfeedback an Bedeutung.
- Zukunftsorientiert formulieren: Oft hilft es, dass Schüler Feedback besser annehmen können, wenn man den Verbesserungsvorschlag für die Zukunft formuliert: „Bei Deiner nächsten Präsentation könntest Du die Powerpoint-Präsentationen ausschalten, wenn Du länger zum Auditorium sprichst und Dich nicht mehr direkt auf die Folien beziehst, das würde Dir mehr Präsenz verleihen.“
Vergangenheit | Gegenwart | Zukunft (Feedforward) | |
---|---|---|---|
Aufgabenebene |
„Du hast hier einen Rechenfehler gemacht.“ |
„Deine Lösung ist fast korrekt.“ |
„Achte bei der nächsten Aufgabe auf die Rechenschritte.“ |
Prozessebene |
„Du hast bisher die Methode X verwendet.“ |
„Gerade verwendest du X, was hilfreich ist.“ |
„Probiere das nächste Mal auch Methode Y aus.“ |
Selbstregulationsebene |
„Du hast dich gut selbst korrigiert.“ |
„Du prüfst gerade selbst deine Ergebnisse.“ |
„Wie kannst du dich in Zukunft besser selbst überprüfen?“ |
Kritische Auseinandersetzung mit der Hattie-Studie
Methodische Kritikpunkte
Trotz ihrer Bedeutung und ihres Einflusses ist die Hattie-Studie nicht ohne Kritik geblieben. Einige der wichtigsten methodischen Einwände sind:
- Probleme der Meta-Meta-Analyse: Die Zusammenfassung von Meta-Analysen unterschiedlicher Qualität und mit unterschiedlichen Methoden kann zu Verzerrungen führen.
- Heterogenität der Studien: Die zugrundeliegenden Studien unterscheiden sich stark in Bezug auf Kontext, Teilnehmer, Messinstrumente und Qualität.
- Korrelation vs. Kausalität: Effektstärken zeigen Zusammenhänge, aber nicht unbedingt kausale Beziehungen. Hattie selbst weist darauf hin, dass der Begriff „Effekt“ irreführend sein kann, da er Kausalität suggeriert.
- Durchschnittswerte vs. Varianz: Die Fokussierung auf durchschnittliche Effektstärken verdeckt die große Variabilität innerhalb der Faktoren.
- Publikationsbias: Meta-Analysen basieren oft auf veröffentlichten Studien, die tendenziell positive Ergebnisse berichten, während negative oder neutrale Ergebnisse seltener publiziert werden.
Hattie selbst hat auf diese Kritik reagiert und betont, dass die Effektstärken nicht als absolute Wahrheiten, sondern als Ausgangspunkt für Diskussionen und weitere Forschung verstanden werden sollten. Er weist auch darauf hin, dass die Interpretation der Ergebnisse wichtiger ist als die bloßen Zahlen.
Kulturelle und kontextuelle Einschränkungen
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf verschiedene kulturelle und bildungspolitische Kontexte:
- Anglozentrischer Fokus: Die meisten Studien stammen aus englischsprachigen Ländern, insbesondere den USA, Australien, Neuseeland und Großbritannien.
- Unterschiedliche Bildungssysteme: Was in einem Bildungssystem wirkt, muss nicht zwangsläufig in einem anderen funktionieren. Oft ist auch die gelebte Kultur ein wichtiger Einflussfaktor (siehe alternative Schulsysteme).
- Soziokulturelle Faktoren: Die Wirksamkeit bestimmter Interventionen kann stark von soziokulturellen Faktoren abhängen.
- Zeitliche Dimension: Viele der analysierten Studien sind älter und spiegeln möglicherweise nicht die aktuellen Bedingungen in Schulen wider.
Der dänische Bildungsforscher Steen Nepper Larsen hat in einem Dialog mit Hattie auch die Frage aufgeworfen, inwieweit Lernen überhaupt als „sichtbares“ Phänomen betrachtet werden kann. Er argumentiert, dass viele Lernprozesse erst langfristig ihre Wirkung entfalten und nicht unmittelbar messbar sind.
Die Debatte um Bildung vs. Leistung
Eine grundsätzlichere Kritik betrifft die Frage, ob die Fokussierung auf messbare Leistungen dem umfassenderen Bildungsauftrag der Schule gerecht wird:
- Reduktion auf Messbares: Die Hattie-Studie konzentriert sich auf messbare Leistungen und vernachlässigt möglicherweise andere wichtige Bildungsziele wie Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität oder soziale Kompetenzen.
- Instrumentalisierung von Bildung: Kritiker befürchten eine Verengung des Bildungsbegriffs auf das, was in standardisierten Tests gemessen werden kann. Zum Beispiel ist es schwer, zu messen wie kognitiv aktiviert Kinder im Unterricht sind, daher ist es auch keine Einflussgröße.
- Politische Instrumentalisierung: Die Ergebnisse können politisch instrumentalisiert werden, um bestimmte Bildungsreformen zu rechtfertigen oder abzulehnen. (Eine peinliche Forderung eines Bildungsministers – Kürzung der Sommerferien – gab es bereits, wahrscheinlich hat er die Studie nicht im Detail gelesen.)
- Vernachlässigung des „Warum“: Die Fokussierung auf das „Was wirkt“ kann die Frage nach dem „Warum“ und dem tieferen Sinn von Bildung in den Hintergrund drängen.
Hattie betont jedoch, dass es ihm nicht um eine Reduktion von Bildung auf messbare Leistungen geht, sondern darum, evidenzbasierte Entscheidungen im Bildungsbereich zu ermöglichen. Er sieht seine Arbeit als Beitrag zu einer informierten Diskussion über Bildungsziele und -methoden, nicht als Ersatz für diese Diskussion.
Visible Learning in der Praxis
Unterrichtsplanung nach Hattie
Die Erkenntnisse aus der Hattie-Studie lassen sich direkt in die Unterrichtsplanung integrieren. Folgende Prinzipien sind dabei besonders wichtig:
- Klare Lernziele und Erfolgskriterien: Lernende müssen wissen, was sie lernen sollen und woran sie erkennen, dass sie erfolgreich waren.
- Aktivierung des Vorwissens (Stichwort: Kognitive Aktivierung): An vorhandenes Wissen anknüpfen und Verbindungen herstellen.
- Vielfältige Lernwege: Verschiedene Methoden einsetzen, um Abwechslung und damit Anregung für das Gehirn zu garantieren.
- Kontinuierliches Feedback: Regelmäßige Rückmeldungen zum Lernfortschritt geben und einholen.
- Kooperatives Lernen: Strukturierte Zusammenarbeit zwischen Lernenden fördern.
- Metakognition fördern: Reflexion über den eigenen Lernprozess anregen.
- Angemessene Herausforderungen: Aufgaben mit optimaler Schwierigkeit stellen, die weder über- noch unterfordern.
- Evaluation des Unterrichts: Regelmäßig überprüfen, ob die gewählten Methoden wirksam sind.
Das Visible Learning Wheel
Das „Visible Learning Wheel“ (Sichtbares Lernrad) ist ein praktisches Modell zur Umsetzung der Visible Learning-Prinzipien im Unterricht. Es besteht aus sechs miteinander verbundenen Elementen:

- Lernintentionen: Klare Formulierung dessen, was gelernt werden soll.
- Erfolgskriterien: Konkrete Beschreibung, woran erfolgreiche Leistung erkannt werden kann.
- Herausfordernde Aufgaben: Anspruchsvolle, aber bewältigbare Aufgaben stellen.
- Aktives Lernen: Lernende als aktive Studenten, nicht passive Empfänger.
- Feedback: Kontinuierliche Rückmeldungen in beide Richtungen.
- Konsolidierung: Festigung des Gelernten durch Übung und Anwendung.
Das Rad symbolisiert, dass diese Elemente nicht linear, sondern zyklisch miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.
Erfolgreiche Implementierung im Schulalltag
Die Umsetzung von Visible Learning im Schulalltag erfordert mehr als nur die Anwendung einzelner Methoden. Es geht um eine grundlegende Haltungsänderung:
- Professionelle Lerngemeinschaften: Lehrkräfte arbeiten zusammen, reflektieren ihren Unterricht und geben sich gegenseitig Feedback.
- Evidenzbasierte Entscheidungen: Pädagogische Entscheidungen werden auf Basis von Daten und Evidenz getroffen, nicht aufgrund von Traditionen oder persönlichen Vorlieben. (Das heißt, Daten müssen erhoben werden UND es muss damit gearbeitet werden)
- Fehlerkultur: Fehler werden als Lernchancen betrachtet, nicht als Versagen.
- Gemeinsame Sprache: Entwicklung einer gemeinsamen Sprache über Lernen und Unterricht im Kollegium. Eine bestimmte Lehrmethode hat einen konkreten Namen, sodass jeder im Kollegium weiß, wovon gesprochen wird.
- Systematische Evaluation: Regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit von Unterrichtsmethoden und -konzepten.
- Einbeziehung der Lernenden: Schülerinnen und Schüler werden als Partner im Lernprozess betrachtet und in Entscheidungen einbezogen.
- Schulentwicklung: Visible Learning wird nicht als isolierte Methode, sondern als Teil eines umfassenden Schulentwicklungsprozesses verstanden.
Schulen, die Visible Learning erfolgreich implementiert haben, berichten von einer positiven Veränderung der Lernkultur, höherer Motivation bei Lehrenden und Lernenden sowie verbesserten Lernergebnissen.
Die Weiterentwicklung von Visible Learning
Visible Learning: The Sequel (2023)
Im Jahr 2023 veröffentlichte Hattie „Visible Learning: The Sequel“, eine aktualisierte und erweiterte Version seiner ursprünglichen Studie. Die wichtigsten Neuerungen sind:
- Erweiterte Datenbasis: Die Studie umfasst nun über 2.100 Meta-Analysen mit mehr als 95.000 Einzelstudien.
- Neue Einflussfaktoren: Die Liste der untersuchten Faktoren wurde auf über 350 erweitert.
- Aktualisierte Effektstärken: Die Effektstärken vieler Faktoren wurden auf Basis neuer Forschungsergebnisse aktualisiert.
- Verfeinerte Kategorisierung: Die Einflussfaktoren wurden in neun Domänen eingeteilt, die auf dem didaktischen Dreieck basieren: Schüler, Elternhaus, Schule, Klassenzimmer, Curricula, Unterrichtsstrategien, Implementierung, Lernstrategien und Lehrperson.
- Stärkere Betonung der Implementierung: Die Bedeutung der konkreten Umsetzung von Interventionen wird stärker hervorgehoben.
Interessanterweise haben sich die grundlegenden Erkenntnisse der ursprünglichen Studie weitgehend bestätigt. Die wirksamsten Faktoren sind nach wie vor jene, die mit aktiver Beteiligung der Lernenden, klaren Zielen, kontinuierlichem Feedback und einer positiven Lernumgebung zusammenhängen.
Neue Forschungsergebnisse und Erkenntnisse
Neben der Aktualisierung der Meta-Analyse hat Hattie in Zusammenarbeit mit anderen Forschern verschiedene Aspekte des Visible Learning weiterentwickelt:
- Lernstrategien-Modell: Gemeinsam mit Gregory Donoghue entwickelte Hattie ein Modell, das erklärt, wann welche Lernstrategien am wirksamsten sind.
- Kollektive Wirksamkeit: Die Bedeutung der kollektiven Wirksamkeit von Lehrerteams wurde als besonders einflussreicher Faktor identifiziert.
- Assessment-fähige Lernende: Das Konzept der „assessment-capable learners“ – Lernende, die ihren eigenen Lernprozess verstehen und steuern können – wurde weiterentwickelt.
- Feedback-Forschung: Die Forschung zum Thema Feedback wurde vertieft, insbesondere zur Bedeutung des „Wohin-als-nächstes“-Feedbacks.
- Digitales Lernen: Die Wirksamkeit digitaler Lernumgebungen und -tools wurde genauer untersucht.
Visible Learning in verschiedenen Bildungskontexten
Das Konzept des Visible Learning wurde inzwischen auf verschiedene Bildungskontexte übertragen:
- Frühkindliche Bildung: Anpassung der Prinzipien für den Kindergarten- und Vorschulbereich.
- Hochschulbildung: Übertragung auf den universitären Kontext.
- Berufliche Bildung: Anwendung in der Berufsausbildung und beruflichen Weiterbildung.
- Digitales Lernen: Adaptation für Online- und Blended-Learning-Umgebungen.
- Inklusive Bildung: Anpassung für heterogene Lerngruppen und inklusive Settings.
- Elternarbeit: Entwicklung von Konzepten, wie Eltern die Prinzipien des Visible Learning zu Hause unterstützen können.
In all diesen Kontexten zeigt sich, dass die Grundprinzipien des Visible Learning – Transparenz, aktive Beteiligung, kontinuierliches Feedback und Reflexion – universell anwendbar sind, aber jeweils kontextspezifisch angepasst werden müssen.
Fazit und Ausblick
Die Bedeutung der Hattie-Studie für die Bildungslandschaft
Die Hattie-Studie hat die Bildungslandschaft weltweit nachhaltig verändert. Mit ihrer umfassenden Datenbasis und dem klaren Fokus auf die Wirksamkeit pädagogischer Maßnahmen hat sie einen Paradigmenwechsel eingeleitet: weg von ideologischen Debatten über Unterrichtsmethoden, hin zu einer evidenzbasierten Diskussion über das, was tatsächlich wirkt.
Die Bedeutung der Studie lässt sich in mehreren Dimensionen erfassen:
- Empirische Fundierung: Die Hattie-Studie hat die größte Datenbasis der Bildungsforschung zusammengetragen und systematisch ausgewertet. Was mit 800 Meta-Analysen begann, umfasst in der aktuellen Version „Visible Learning: The Sequel“ (2023) über 2.300 Meta-Analysen mit mehr als 130.000 Einzelstudien und etwa 400 Millionen Lernenden. Diese empirische Fundierung verleiht den Ergebnissen ein besonderes Gewicht.
- Fokus auf Wirksamkeit: Durch die Einführung des „Barometers des Einflusses“ und des Umschlagpunkts (d = 0,4) hat Hattie einen Maßstab geschaffen, an dem sich pädagogische Interventionen messen lassen müssen. Die Frage ist nicht mehr nur „Was wirkt?“, sondern „Was wirkt besser als der Durchschnitt?“.
- Professionalisierung der Lehrerrolle: Die Hattie-Studie stärkt die Rolle der Lehrperson als „change agent“ und betont die Bedeutung professioneller Reflexion. Lehrkräfte werden ermutigt, ihren Unterricht kontinuierlich zu evaluieren und anzupassen, basierend auf Evidenz über die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen.
- Gemeinsame Sprache: „Visible Learning“ hat eine gemeinsame Sprache für den pädagogischen Diskurs geschaffen. Begriffe wie „Effektstärke“, „Umschlagpunkt“ oder „Sichtbares Lernen“ sind heute fester Bestandteil des bildungswissenschaftlichen Vokabulars.
- Internationale Verbreitung: Die Übersetzung in 29 Sprachen und die weltweite Rezeption haben dazu beigetragen, dass die Erkenntnisse der Studie in verschiedenen Bildungssystemen und kulturellen Kontexten diskutiert und angewendet werden.
Offene Fragen und zukünftige Forschungsrichtungen
Trotz ihrer Bedeutung wirft die Hattie-Studie auch Fragen auf, die zukünftige Forschung adressieren sollte:
- Kontextabhängigkeit der Effekte: Inwieweit sind die gefundenen Effekte auf verschiedene Bildungssysteme, kulturelle Kontexte und Altersgruppen übertragbar? Hier besteht Bedarf an differenzierteren Analysen.
- Langzeitwirkungen: Die meisten Studien in Hatties Analyse untersuchen kurzfristige Effekte. Der dänische Bildungsforscher Steen Nepper Larsen hat in einem Dialog mit Hattie die Frage aufgeworfen, inwieweit Lernen überhaupt als „sichtbares“ Phänomen betrachtet werden kann, da viele Lernprozesse erst langfristig ihre Wirkung entfalten.
- Wechselwirkungen zwischen Faktoren: Die isolierte Betrachtung einzelner Faktoren vernachlässigt mögliche Wechselwirkungen. Zukünftige Forschung sollte stärker untersuchen, wie verschiedene Faktoren zusammenwirken.
- Bildung jenseits messbarer Leistungen: Die Fokussierung auf messbare Leistungen wirft die Frage auf, inwieweit andere wichtige Bildungsziele wie Persönlichkeitsentwicklung, Kreativität oder soziale Kompetenzen berücksichtigt werden. Hier besteht Bedarf an einer Erweiterung der Forschungsperspektive.
- Digitales Lernen: Die rasante Entwicklung digitaler Lernumgebungen erfordert eine kontinuierliche Aktualisierung der Forschung zu deren Wirksamkeit, insbesondere im Kontext des SAMR-Modells (Substitution, Augmentation, Modification, Redefinition).
Persönliche Handlungsempfehlungen
Basierend auf den Erkenntnissen der Hattie-Studie lassen sich folgende Handlungsempfehlungen für verschiedene Akteure im Bildungsbereich ableiten:
Für Lehrkräfte:
- Entwickle eine evaluative Haltung: Betrachten Dich als Forscher in Deinem eigenen Klassenzimmer und sammle kontinuierlich Daten über die Wirksamkeit Deines Unterrichts.
- Mach Lernen sichtbar: Formuliere klare Lernziele und Erfolgskriterien und kommuniziere diese transparent.
- Nutze wirksames Feedback: Gib regelmäßig Feedback auf allen drei Ebenen (Aufgabe, Prozess, Selbstregulation) und hol Dir Feedback von Deinen Schülern ein.
- Fördere metakognitive Strategien: Hilf Lernenden, ihren eigenen Lernprozess zu verstehen und zu steuern.
- Bilde professionelle Lerngemeinschaften: Tausch Dich mit Kollegen über wirksame Unterrichtspraktiken aus und gebt Euch gegenseitig Feedback.
Für Schulleitungen:
- Schaffe eine Kultur der Evidenzbasierung: Fördere datengestützte Entscheidungsprozesse und eine positive Fehlerkultur.
- Investiere in wirksame Fortbildungen: Konzentriere Dich auf Fortbildungsmaßnahmen mit nachgewiesener Wirksamkeit.
- Förder kollektive Wirksamkeit: Fördere Teamteaching oder andere Möglichkeiten, in denen Lehrer wirksam zusammenarbeiten können.
- Sei offen für alternative Projekt-Ideen.
Für Eltern:
- Unterstütze die Selbsteinschätzung Deines Kindes: Frage nicht nur nach Noten, sondern auch nach dem Lernprozess und der Selbsteinschätzung.
- Förder eine positive Einstellung zu Fehlern: Betrachte Fehler als Lernchancen und nicht als Versagen.
- Kommuniziere mit Lehrkräften: Tauschen Dich mit Lehrern über den Lernfortschritt Deines Kindes aus.
Für Bildungspolitik:
- Investiere in die Qualität der Lehrpersonen: Fördern Sie die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften in evidenzbasierten Praktiken. Im Lehramtstudium könnte das erste Jahr mit einem Praxisjahr mit Mentoring begonnen werden.
- Schaffe Rahmenbedingungen für wirksamen Unterricht: Ermöglichen Sie so viele alternative Projekte wie möglich, die gleichzeitig auf Wirksamkeit evaluiert werden.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zur Hattie-Studie
1. Was ist der Unterschied zwischen „Visible Learning“ und „Visible Teaching“?
2. Bedeutet die niedrige Effektstärke von Klassengröße, dass große Klassen genauso gut sind wie kleine?
3. Sind die Ergebnisse der Hattie-Studie auf alle Bildungskontexte übertragbar?
4. Bedeutet die Betonung von Effektstärken, dass nur messbare Leistungen wichtig sind?
5. Warum haben manche „traditionelle“ Methoden höhere Effektstärken als „innovative“ Ansätze?
6. Wie kann ich als Lehrkraft die Erkenntnisse der Hattie-Studie in meinem Unterricht umsetzen?
7. Wie verlässlich sind die Effektstärken in der Hattie-Studie?
8. Was bedeutet der „Umschlagpunkt“ (hinge point) von d = 0,4?
9. Wie hat sich die Hattie-Studie seit ihrer ersten Veröffentlichung entwickelt?
10. Gibt es Kritik an der Hattie-Studie, die ich beachten sollte?
Glossar: Wichtige Begriffe aus der Hattie-Studie
Effektstärke (d): Statistische Kennzahl, die angibt, wie stark ein bestimmter Faktor den Lernerfolg beeinflusst. Je höher der Wert, desto wirksamer der Faktor.
Umschlagpunkt (hinge point): Der Wert d = 0,4, der die durchschnittliche Effektstärke aller untersuchten Faktoren markiert und als Orientierungspunkt für besonders wirksame Faktoren dient.
Visible Learning: Konzept, bei dem Lernende zu ihren eigenen Lehrern werden und aktiv ihren Lernprozess steuern, während Lehrende den Lernprozess durch die Augen ihrer Schülerinnen und Schüler sehen.
Meta-Analyse: Statistische Methode, um die Ergebnisse mehrerer Einzelstudien zu einem bestimmten Thema zusammenzufassen.
Meta-Meta-Analyse: Zusammenfassung mehrerer Meta-Analysen, wie sie in der Hattie-Studie durchgeführt wurde.
Change Agent: Begriff für Lehrpersonen, die aktiv Veränderungen bewirken und ihren Einfluss auf das Lernen kontinuierlich evaluieren und anpassen.
Mindframes: Grundlegende Denkhaltungen, die erfolgreiche Lehrende auszeichnen, z.B. „Ich sehe mich als Evaluator meines Einflusses auf das Lernen.“
Feedback-Ebenen: Die drei Hauptebenen des Feedbacks nach Hattie: Feed-Up (Wo gehe ich hin?), Feed-Back (Wie komme ich voran?) und Feed-Forward (Wie geht es weiter?).
Visible Learning Wheel: Modell zur Umsetzung der Visible Learning-Prinzipien im Unterricht, bestehend aus sechs miteinander verbundenen Elementen: Lernintentionen, Erfolgskriterien, herausfordernde Aufgaben, aktives Lernen, Feedback und Konsolidierung.
Assessment-Capable Learners: Lernende, die ihren eigenen Lernprozess verstehen und steuern können, indem sie wissen, wo sie stehen, wie sie vorankommen und was ihre nächsten Schritte sind.
Weiterführende Ressourcen
- Bücher von John Hattie:
- Hattie, J. (2023). Visible Learning: The Sequel. A Synthesis of Over 2,100 Meta-Analyses Relating to Achievement. Routledge.
- Hattie, J., & Zierer, K. (2017). Kenne deinen Einfluss! „Visible Learning“ für die Unterrichtspraxis. Schneider Verlag Hohengehren.
- Hattie, J., & Zierer, K. (2019). Visible Learning Insights. Routledge.
- Hattie, J., & Zierer, K. (2024). 10 Mindframes for Visible Learning (2nd ed.). Routledge.
- Hattie, J., & Clarke, S. (2019). Visible Learning: Feedback. Routledge.
- Hattie, J., & Larsen, S. (2020). The Purposes of Education: A Conversation Between John Hattie and Steen Nepper Larsen. Routledge.
- Hattie, J., & Zierer, K. (2025). Visible Learning: Lesson Planning: An Evidence-Based Guide for Successful Teaching.Routledge.
- Deutschsprachige Fachliteratur zur Hattie-Studie:
- Zierer, K. (2016). Hattie für gestresste Lehrer. Kernbotschaften und Handlungsempfehlungen aus John Hatties „Visible Learning“ und „Visible Learning for Teachers“. Schneider Verlag Hohengehren.
- Helmke, A. (2014). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität: Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Klett.
- Steffens, U., & Höfer, D. (2016). Lernen nach Hattie: Wie gelingt guter Unterricht? Beltz.
- Wissenschaftliche Artikel:
- Hattie, J., & Timperley, H. (2007). The power of feedback. Review of Educational Research, 77(1), 81-112.
- Hattie, J., & Donoghue, G. (2016). Learning strategies: A synthesis and conceptual model. Nature: Science of Learning, 1, 16013.
- Wisniewski, B., Zierer, Z., & Hattie, J. (2020). The power of feedback revisited: A meta-analysis of educational feedback research. Frontiers in Psychology, 10, 3087.
- Online-Ressourcen:
- Visible Learning Plus: www.visiblelearningplus.com
- Visible Learning MetaX: www.visiblelearningmetax.com (Datenbank mit allen Effektstärken)
- Visible Learning World: www.visiblelearningworld.com (Internationale Community)
- Praxismaterialien:
- Fisher, D., Frey, N., & Hattie, J. (2018). Developing Assessment-Capable Visible Learners. Corwin.
- Hattie, J., Fisher, D., Frey, N., & Clarke, S. (2021). Collective Student Efficacy: Developing Independent and Inter-dependent Learners. Corwin Press.
- Hamilton, A., Reeves, D., Clinton, J., & Hattie, J. (2022). Implementation: The 5D Model. Corwin.
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Autor: Marian Zefferer, MSc.
Psychologe, Papa, NLP-Lehrtrainer & Autor von Bildungsimpuls.com. Dort lebe ich meine Vision, einen Beitrag für unser marodes Bildungssystem zu liefern, damit Lernen wieder geil wird und Bildung als das gesehen wird, was es ist: das geistige Gold der Gesellschaft.
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