Freie Demokratische Schule Kapriole: demokratische Schule und selbstbestimmtes Lernen

Stell Dir eine Schule vor, in der Kinder nicht zum Lernen gezwungen werden – und trotzdem oder gerade deswegen zu selbstbewussten, kompetenten und glücklichen Menschen heranwachsen. Eine Schule, in der ein Sechsjähriger gleichberechtigt mit einer Siebzehnjährigen über die Schulregeln abstimmt. Eine Schule, in der es keine Noten, keinen Stundenplan und keinen Zwang gibt – aber jede Menge Begeisterung, Kreativität und echtes Lernen.

Inhaltsverzeichnis

Klingt utopisch? Ist es aber nicht. Die Freie Demokratische Schule Kapriole in Freiburg beweist seit über 25 Jahren, dass dieses Bildungsmodell nicht nur funktioniert, sondern Kinder und Jugendliche zu genau den Menschen heranwachsen lässt, die unsere Gesellschaft so dringend braucht: selbstständig denkende, verantwortungsbewusste und demokratisch handelnde Persönlichkeiten.

1. Was ist die Freie Demokratische Schule Kapriole?

Die Kapriole ist weit mehr als nur eine alternative Schule – sie ist ein lebendiges Experiment in Sachen Demokratie, Selbstbestimmung und kindgerechtem Lernen. Seit 1997 staatlich genehmigt, gehört sie mit rund 150 Schüler zu den größeren Freien Demokratischen Schulen in Deutschland.

Die DNA der Kapriole in drei Sätzen

Das gesamte Konzept der Kapriole lässt sich in drei prägnanten Sätzen zusammenfassen:

  1. „Die Kinder an der freien demokratischen Schule Kapriole lernen wann, wo, was, wie und mit wem sie wollen.“
  2. „Sie haben die Freiheit zu tun, was sie möchten, solange es die Freiheit der anderen nicht einschränkt.“
  3. Alle Belange des Schulalltags werden in der wöchentlichen Schulversammlung diskutiert und beschlossen, in der Schüler und Lehrer gleichberechtigt eine Stimme pro Person haben.“

Diese drei Sätze sind nicht nur schöne Worte – sie werden jeden Tag gelebt und bilden das Fundament einer radikal anderen Art von Schule.

Historische Einordnung und Bewegung

Die Kapriole ist Teil einer größeren Bewegung: Sie ist Mitglied im Bundesverband der Freien Alternativschulen (BFAS), der etwa 150 Schulen in Deutschland vereint. Darüber hinaus engagiert sich die Schule in der European Democratic Education Community (EUDEC), einem europaweiten Netzwerk demokratischer Schulen.

Wusstest Du schon? Die Idee demokratischer Schulen geht auf die Summerhill School in England zurück, die bereits 1921 von A.S. Neill gegründet wurde. Die Kapriole steht damit in einer über100-jährigen Tradition revolutionärer Pädagogik!

Die Vision: Mehr als nur Wissensvermittlung

Die Kapriole versteht sich explizit nicht nur als Bildungsort, sondern als Ort des zivilgesellschaftlichen Engagements. Die Schule wird getragen von der Idee eines guten Lebens für alle Menschen – unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität, ihrer Herkunft oder ihren Fähigkeiten.

Das Ziel? Kinder und Jugendliche sollen zu „zufriedenen, selbstbewussten, mitfühlenden Menschen“ heranwachsen, „die dem Druck, den Erwartungen und Ansprüchen unserer Gesellschaft gewachsen sind beziehungsweise diesem Druck etwas Eigenes entgegen zu setzen haben.“

2. Die Grundprinzipien: Selbstbestimmung, Freiheit und Demokratie

Selbstbestimmung: Der Mensch im Mittelpunkt

An der Kapriole steht nicht der Lehrplan im Mittelpunkt, sondern der Mensch. Diese radikale Umkehrung der Prioritäten basiert auf einer einfachen, aber kraftvollen Überzeugung:

„Menschen lernen genau jene Dinge besonders nachhaltig und effektiv, für die sie sich wirklich interessieren, die sie wirklich lernen wollen.“

Deshalb überlässt die Schule den Kindern und Jugendlichen die Entscheidung, welchen Lerngegenständen sie sich zuwenden. Kein Erwachsener schreibt vor, was ein Kind in welchem Alter können muss.

Freiheit mit Verantwortung

Die Freiheit an der Kapriole ist keine grenzenlose Freiheit. Sie endet dort, wo die Freiheit der anderen beginnt. Dieses Prinzip lehrt die Kinder von Anfang an:

  • Eigenverantwortung für das eigene Handeln
  • Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer
  • Aushandlung von Kompromissen
  • Respekt vor unterschiedlichen Bedürfnissen

Ein Schüler berichtet: „Ich kann da lernen was ich will […] Wenn ich mich für ein Thema interessiere, kann ich mich richtig reinknien und alles darüber herausfinden. Und wenn ich mal keine Lust habe, etwas zu machen, dann kann ich auch einfach mal chillen oder mit Freunden spielen.“

Demokratie als Lebensform

Demokratie ist an der Kapriole kein Unterrichtsfach, sondern gelebte Realität. Jedes Mitglied der Schulgemeinschaft – vom sechsjährigen Erstklässler bis zur erfahrenen Pädagogin – hat genau eine Stimme.

Diese radikale Gleichberechtigung führt zu erstaunlichen Lernprozessen. Beispielsweise könnte sich ein schüchterner Mitschüler folgendermaßen entwickeln:

  • Jahr 1: Erste schüchterne Wortmeldungen in der Schulversammlung
  • Jahr 2: Eigene kleine Anträge einbringen
  • Jahr 3: Aktive Teilnahme an Diskussionen
  • Jahr 4: Übernahme von Verantwortung in Arbeitsgruppen
  • Jahr 5: Moderation von Versammlungen
  • Jahr 6+: Mentoring jüngerer Schüler in demokratischen Prozessen

3. Die Schulversammlung: Demokratie live erleben

Das Herzstück der Schule

Die wöchentliche Schulversammlung ist das zentrale Entscheidungsgremium der Kapriole. Hier wird alles diskutiert und beschlossen, was für das Gelingen des gemeinsamen Alltags relevant ist.

Was wird in der Schulversammlung entschieden?

  • Regeln und Vereinbarungen für das Zusammenleben
  • Anschaffung neuer Materialien und Ausstattung
  • Gestaltung des Schulgeländes
  • Planung von Projekten, Ausflügen und Veranstaltungen
  • Konfliktlösung zwischen Schülern oder mit Lehrern
  • Aufnahme neuer Schüler
  • Verwendung des Schulbudgets

Wie funktioniert die Schulversammlung praktisch?

Die Versammlung folgt einem strukturierten Ablauf:

  1. Eröffnung und Tagesordnung: Jeder kann Punkte einbringen
  2. Diskussion: Alle Argumente werden angehört
  3. Abstimmung: Eine Person = eine Stimme
  4. Protokoll: Entscheidungen werden dokumentiert
  5. Umsetzung: Verantwortliche werden benannt

Ein älterer Schüler reflektiert: „In der Schulversammlung gab’s natürlich dann die Älteren, die sich besser ausdrücken konnten und wo man sich dann bestimmt ein paar Formulierungen abgeguckt hat.“ So lernen die Jüngeren von den Älteren – ganz natürlich und ohne Zwang.

Demokratiebildung in der Praxis

Die Schulversammlung ist ein Übungsfeld für demokratische Kompetenzen:

  • Argumentieren lernen: Seine Meinung begründet vertreten
  • Zuhören üben: Andere Perspektiven verstehen
  • Kompromisse finden: Win-Win-Lösungen entwickeln
  • Verantwortung übernehmen: Für getroffene Entscheidungen einstehen
  • Minderheitenschutz: Auch unterlegene Positionen respektieren

Fun Fact: In einer Schulversammlung wurde einmal darüber abgestimmt, ob ein Baum auf dem Schulgelände gefällt werden soll. Die Diskussion dauerte drei Wochen, in denen Kinder Expertenmeinungen einholten, die Bedeutung des Baums für Tiere recherchierten und sogar eine Demonstration organisierten!

4. Lernen ohne Zwang: Wie funktioniert selbstbestimmtes Lernen?

Die Neurobiologie des freien Lernens

Die moderne Hirnforschung bestätigt, was die Kapriole seit Jahren praktiziert: Lernen funktioniert am besten, wenn es intrinsisch motiviert ist. Gerald Hüther, einer der bekanntesten Neurobiologen Deutschlands, betont immer wieder: Begeisterung ist der wichtigste Treibstoff für das Gehirn.

An der Kapriole wird dieses Prinzip konsequent umgesetzt. Ein Schüler berichtet:„Ich habe das genauso gut gelernt wie wenn man es mir total eingeprügelt hätte, bloß es ging schneller, weil ich mich dafür interessiert habe in dem Moment, das zu tun und das zu lernen.“

Vielfältige Lernformen

An der Kapriole gibt es keinen festen Stundenplan und keine Pflichtfächer. Stattdessen wählen die Schüler aus einem breiten Angebot:

1. Freie Projekte

  • Eigeninitiierte Forschungsprojekte
  • Kreative Unternehmungen
  • Praktische Vorhaben

2. Kurse und Workshops

  • Angebote von Lehrer
  • Externe Expert
  • Von Schüler für Schülerinnen

3. Lernateliers

  • Kunst und Kreativität
  • Musik und Theater
  • Handwerk und Technik
  • Naturwissenschaften
  • Sprachen und Literatur

4. Individuelle Lernbegleitung

  • Mentoring durch Vertrauenslehrer
  • Peer-Learning mit anderen Schüler
  • Selbstorganisiertes Lernen

Das Phänomen des „Lernens durch Osmose“

Ein faszinierendes Phänomen an der Kapriole ist das informelle Lernen. Ein Schüler beschreibt es so:„Man sieht, dass jemand was schon ziemlich gut machen kann und dann will man es einfach auch können. Und der Unterschied von anderen Umgebungen zu hier ist, dass man das, was man lernen will, auch wirklich lernen kann.“

Diese Art des Lernens funktioniert wie eine Ansteckung: Jüngere Kinder beobachten die älteren beim Lesen, entwickeln daraus eine eigene Motivation, beginnen von sich aus nach Unterstützung zu fragen und lernen schließlich in ihrem ganz eigenen Tempo.

Keine Noten, kein Stress?

Die Kapriole verzichtet vollständig auf Noten. Stattdessen gibt es:

  • Selbstreflexion: Kinder lernen, ihre eigenen Fortschritte einzuschätzen
  • Portfolios: Sammlung von Arbeiten und Projekten
  • Gespräche: Regelmäßiger Austausch über Lernprozesse
  • Präsentationen: Vorstellen von Projektergebnissen

5. Vielfalt als Stärke: Inklusion an der Kapriole

„Eine Schule für alle Kinder“

Die Kapriole versteht sich explizit als „eine Schule für alle Kinder“. Die Unterschiedlichkeit der Schüler und Lehrer wird nicht als Problem, sondern als „Reichtum und Chance für die Lernprozesse von uns allen“ gesehen.

Diese Haltung zeigt sich deutlich in der Praxis: Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf lernen gemeinsam, wobei unterschiedliche Lerngeschwindigkeiten respektiert und vielfältige Lernwege ermöglicht werden. Jedes Kind wird in seiner Einzigartigkeit wertgeschätzt.

12 Jahre Integrationserfahrung

Die Kapriole kann auf über 12 Jahre Integrationspraxis zurückblicken. In dieser Zeit hat sich gezeigt:

  • Schüler mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ nehmen am gesamten Schulleben teil
  • Die Schulgemeinschaft profitiert von der Vielfalt der Perspektiven
  • Individuelle Unterstützung wird selbstverständlich in den Alltag integriert
  • Kinder lernen von Anfang an, mit Unterschieden umzugehen

Praktische Umsetzung der Inklusion

Die Kapriole arbeitet mit einem multiprofessionellen Team, das neben Lehrer auch Sonder-, Sozial- und Heilpädagogen umfasst. Diese Expert unterstützen nicht nur Kinder mit besonderem Förderbedarf, sondern bereichern das gesamte Schulleben mit ihrer Expertise.

6. Das Team: Lernbegleiter statt Lehrer

Ein multiprofessionelles Team auf Augenhöhe

An der Kapriole arbeiten derzeit 32 fest angestellte Mitarbeiter in einem bemerkenswert vielfältigen Team. Die Zusammensetzung spiegelt die Philosophie der Schule wider: Vielfalt als Stärke.

Das pädagogische Team umfasst:

  • Ausgebildete Lehrer unterschiedlicher Schulbereiche (Hauptschule, Realschule, Gymnasium)
  • Sonder-, Sozial-, Heil-, Medien- und Theaterpädagogen
  • (Kunst-)Handwerker
  • Praktikant im Anerkennungsjahr aus verschiedenen Fachrichtungen

Die veränderte Rolle der Pädagogen

An der Kapriole sind Lehrer keine Wissensvermittler im klassischen Sinne, sondern Lernbegleiter, Mentoren und Unterstützer. Sie:

  • Bieten Kurse und Workshops an, die von den Schüler freiwillig besucht werden können
  • Stehen für individuelle Fragen und Unterstützung zur Verfügung
  • Begleiten Projekte und helfen bei der Umsetzung von Ideen
  • Sind gleichberechtigte Mitglieder der Schulgemeinschaft

Beispiele aus dem Team (stand 2025):

  • Eva Haas: Begleitet die Jahrgänge 1-4 in Lesen, Schreiben, Rechnen und bildet Streitschlichter aus
  • Florian Obländer: Spezialist für Französisch, Digitale Medien und Rollenspiel für die Jahrgänge 8-10
  • Manuel Ehrmann: Unterstützt bei der Prüfungsvorbereitung und leitet Technik-Projekte

Keine klassische Hierarchie

Ein revolutionärer Aspekt der Kapriole: Es gibt keine Schulleitung im traditionellen Sinne. Stattdessen organisiert sich das Team demokratisch und trifft Entscheidungen gemeinsam. Dies modelliert für die Schüler, wie gleichberechtigte Zusammenarbeit funktionieren kann.

7. Der Schulalltag: Ein Tag an der Kapriole

Morgens: Der Start in den Tag

Der Tag an der Kapriole beginnt flexibel. Die Kernzeit startet um 8:30 Uhr, aber schon vorher trudeln die ersten Kinder ein. Es gibt keine Klingel, die zum Unterrichtsbeginn ruft – die Kinder kommen an, wenn sie bereit sind.

Viele Gruppen starten mit einem kurzen Morgenkreis, aber auch das ist freiwillig. Manche Kinder beginnen ihren Tag lieber direkt mit einem Projekt, andere brauchen erst einmal Zeit zum Ankommen und Spielen.

Vormittags: Lernen in vielfältigen Formen

Nach dem Morgenkreis verteilen sich die 150 Schüler auf die verschiedenen Räume und Aktivitäten:

  • Im Kunstatelier arbeitet eine altersgemischte Gruppe an Tonplastiken
  • In der Werkstatt bauen einige Jugendliche an einem selbst entworfenen Möbelstück
  • Im Leseraum vertiefen sich Kinder in Bücher oder arbeiten an eigenen Geschichten
  • Im Mathematikraum knobeln Schüler verschiedenen Alters an kniffligen Aufgaben
  • Im Garten pflegen andere das Gemüsebeet und planen die nächste Ernte

Ein typisches Szenario: Die 8-jährige Mia hat sich vorgenommen, Lesen zu lernen. Sie hat beobachtet, wie ihre älteren Freundin spannende Bücher vertieft waren und will das auch können. Sie fragt Eva, eine Lernbegleiterin, ob sie ihr helfen kann. Gemeinsam entwickeln sie einen Plan: Mia kommt dreimal die Woche für eine halbe Stunde zum Lesetraining. Den Rest lernt sie „nebenbei“ – durch Spielanleitungen, Nachrichten von Freundinnen und die vielen Beschriftungen in der Schule.

Mittags: Gemeinsames Essen und Pause

Um 13 Uhr endet die Kernzeit. Viele Kinder bleiben zum gemeinsamen Mittagessen, das in der schuleigenen Küche frisch zubereitet wird. Das Essen ist ein wichtiger sozialer Moment – hier kommen Kinder unterschiedlichen Alters zusammen und tauschen sich aus.

Nachmittags: Projekte und freies Spiel

Von Montag bis Donnerstag können die Kinder bis 16 Uhr in der Schule bleiben. Die Nachmittage sind häufig Projektzeiten: Eine Theatergruppe probt für ihre Aufführung, der Schulgarten wird gepflegt, eine andere Gruppe plant einen Ausflug. Manche Kinder nutzen die Zeit für freies Spiel oder zur Entspannung.

Die Schulversammlung: Demokratie in Aktion

Einmal wöchentlich findet die Schulversammlung statt – das Herzstück der demokratischen Schule. Hier ein Einblick in eine typische Versammlung:

14:00 Uhr: Die Versammlung beginnt. Etwa 80 Schülerinnen und 10 Erwachsene haben sich im großen Saal versammelt. Die Moderation übernehmen heute zwei Zehntklässlerinnen.

14:05 Uhr: Die Tagesordnung wird vorgestellt. Heute stehen fünf Punkte an:

  1. Antrag auf neue Fußballtore
  2. Diskussion über die Handynutzung
  3. Planung des Sommerfests
  4. Konflikt zwischen zwei Gruppen
  5. Vorstellung eines neuen Kurses

14:15 Uhr: Der erste Antrag wird diskutiert. Verschiedene Meinungen werden geäußert – von „Wir brauchen unbedingt neue Tore!“ bis „Das Geld sollten wir lieber für Bücher ausgeben.“

14:45 Uhr: Nach ausführlicher Diskussion wird abgestimmt. Die neuen Tore werden mit 52:38 Stimmen bewilligt.

16:00 Uhr: Die Versammlung endet. Alle Entscheidungen werden protokolliert und ausgehängt.

8. Wissenschaftliche Grundlagen: Was die Forschung sagt

Neurobiologische Erkenntnisse

Die moderne Hirnforschung bestätigt eindrucksvoll, was die Kapriole seit Jahren praktiziert: „Begeisterung ist Dünger für das Gehirn.“ (Gerhald Hüther). An der Kapriole wird dieses Prinzip konsequent umgesetzt. Die Schüler lernen aus intrinsischer Motivation heraus.

Selbstbestimmungstheorie nach Deci & Ryan

Die Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2000) identifiziert drei psychologische Grundbedürfnisse, die für intrinsische Motivation entscheidend sind:

  1. Autonomie: Das Bedürfnis, selbst zu entscheiden
  2. Kompetenz: Das Bedürfnis, sich als wirksam zu erleben
  3. Soziale Eingebundenheit: Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit

Die Kapriole erfüllt alle drei Bedürfnisse optimal:

  • Autonomie durch selbstbestimmtes Lernen
  • Kompetenz durch individuelle Erfolgserlebnisse
  • Soziale Eingebundenheit durch die starke Schulgemeinschaft

Demokratiebildung: Mehr als nur Theorie

Die Politikwissenschaft unterscheidet drei Ebenen der Demokratie (Himmelmann, 2007):

  1. Demokratie als Lebensform: Respekt, Toleranz, Konfliktfähigkeit
  2. Demokratie als Gesellschaftsform: Partizipation, Engagement, Verantwortung
  3. Demokratie als Herrschaftsform: Institutionen, Verfahren, Rechte

An der Kapriole werden alle drei Ebenen gleichzeitig gelebt. Die Schüler lernen nicht über Demokratie – sie praktizieren sie täglich. Dies führt zu einer tiefen Verankerung demokratischer Werte und Kompetenzen.

Langzeitstudien zu demokratischen Schulen

Internationale Studien zu Absolvent demokratischer Schulen zeigen beeindruckende Ergebnisse (Gray & Chanoff, 1986; Greenberg et al., 2005):

  • 85% der Absolvent gehen auf weiterführende Bildungseinrichtungen
  • Überdurchschnittliche soziale Kompetenzen im Vergleich zu Regelschulabsolvent
  • Hohe Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit
  • Starkes zivilgesellschaftliches Engagement im Erwachsenenalter

9. Kapriole vs. Regelschule: Der große Vergleich

Strukturelle Unterschiede

AspektFreie Demokratische Schule KaprioleTraditionelle Regelschule
StundenplanFlexibel, selbstbestimmtFest vorgegeben
LerninhalteNach Interesse der SchülerLehrplan-gebunden
BewertungKeine Noten, SelbstreflexionNotensystem 1-6
AltersgruppenAltersgemischtJahrgangsklassen
EntscheidungenDemokratisch, alle haben eine StimmeHierarchisch, Schulleitung entscheidet
LernorteÜberall in der SchulePrimär Klassenzimmer
Rolle der LehrkraftLernbegleiter, MentorWissensvermittler, Autoritätsperson
KonfliktlösungGemeinsam in der SchulversammlungDurch Lehrkräfte/Schulleitung

Pädagogische Unterschiede

Motivation:

  • Kapriole: Intrinsische Motivation durch Interesse
  • Regelschule: Oft extrinsische Motivation durch Noten

Lernprozess:

  • Kapriole: Individuell, im eigenen Tempo
  • Regelschule: Standardisiert, im Klassentempo

Fehlerkultur:

  • Kapriole: Fehler als Lernchance
  • Regelschule: Fehler als Defizit

Kompetenzerwerb im Vergleich

Die Kapriole-Schüler entwickeln besondere Stärken in folgenden Bereichen:

Selbstkompetenzen:

  • Eigenverantwortung
  • Selbstorganisation
  • Intrinsische Motivation
  • Selbstreflexion

Sozialkompetenzen:

  • Konfliktfähigkeit
  • Empathie
  • Kooperationsfähigkeit
  • Demokratische Teilhabe

Methodenkompetenzen:

  • Selbstständiges Lernen
  • Projektmanagement
  • Problemlösefähigkeit
  • Kreativität

Ein Absolvent berichtet:„Die Kinder [finden] nur selten Anlass […], sich zu vergleichen.“Dies führt zu weniger Konkurrenzdenken und mehr Kooperation.

Leistung anders gedacht

An der Kapriole wird Leistung nicht durch Noten gemessen, sondern durch: Persönliche Fortschritte, Engagement und Begeisterung, Kreative Lösungen, Soziale Beiträge zur Gemeinschaft. Die Erfahrung zeigt: Kapriole-Schüler, die sich für Prüfungen entscheiden (z.B. Realschulabschluss oder Abitur), schneiden mindestens genauso gut ab wie ihre Altersgenossinnen aus Regelschulen – oft sogar besser, weil sie gelernt haben, selbstständig zu lernen.

10. Herausforderungen und Kritik: Ein ehrlicher Blick

Die Herausforderung der Selbstverantwortung

Nicht alle Kinder kommen sofort mit der großen Freiheit zurecht – manche brauchen Zeit, um zu lernen, wie sie ihre Zeit sinnvoll nutzen. Die Schule begegnet dem mit Geduld und Vertrauen in die Entwicklung jedes Kindes, bietet individuelle Begleitung bei Orientierungsschwierigkeiten, fördert Peer-Support durch ältere Schüler und führt Elterngespräche, um gemeinsam Unterstützung zu gewährleisten.

Der Übergang in andere Systeme

Ein häufig geäußertes Bedenken: Wie kommen Kapriole-Schüler in traditionellen Systemen zurecht?

Die Erfahrung zeigt: Der Übergang gelingt in der Regel gut, weil die Schüler gelernt haben, selbstständig zu lernen und sich schnell in neue Strukturen einzufinden. Sie bringen wichtige Kompetenzen mit:

  • Selbstorganisation: Sie können ihre Zeit und Aufgaben eigenständig strukturieren
  • Intrinsische Motivation: Sie wissen, warum sie etwas lernen wollen
  • Anpassungsfähigkeit: Sie haben gelernt, mit unterschiedlichen Menschen und Situationen umzugehen
  • Kritisches Denken: Sie hinterfragen Strukturen und finden eigene Wege

Gesellschaftliche Akzeptanz

Eine weitere Herausforderung ist die gesellschaftliche Wahrnehmung. Viele Menschen können sich schwer vorstellen, dass Lernen ohne Zwang funktioniert. Die Kapriole begegnet dem durch:

  • Transparenz: Regelmäßige Tage der offenen Tür
  • Dokumentation: Sichtbarmachen von Lernerfolgen
  • Dialog: Gespräche mit Kritiker
  • Erfolgsgeschichten: Ehemalige Schüler als Botschafter

Finanzielle Herausforderungen

Als freie Schule erhält die Kapriole nur eine Teilfinanzierung vom Land. Die Differenz muss durch Elternbeiträge gedeckt werden:

  • Monatlicher Beitrag: ca. 230€ für das erste Kind
  • Einmalige Einlage: 1.000€ (als Nachrangdarlehen, wird bei Verlassen zurückgezahlt)
  • Soziale Staffelung: Sondervereinbarungen und Ratenzahlung möglich

Dies kann eine Hürde für Familien mit geringem Einkommen darstellen, obwohl die Schule versucht, niemanden aus finanziellen Gründen auszuschließen.

11. Konkrete Anwendung: Was können wir von der Kapriole lernen?

Für Lehrkräfte: Demokratie im Klassenzimmer

Auch in traditionellen Schulen lassen sich demokratische Elemente Schritt für Schritt einführen. So kann etwa ein Klassenrat etabliert werden: In einer wöchentlichen Sitzung mit fester Struktur übernehmen Schüler die Moderation, treffen gemeinsam Entscheidungen über Klassenregeln und lösen Konflikte als Gruppe.

Wahlmöglichkeiten stärken die Eigenverantwortung der Lernenden. Dazu gehören etwa die freie Themenwahl bei Referaten, unterschiedliche Bearbeitungsformen, flexible Zeiteinteilung in der Projektarbeit oder das selbstbestimmte Wählen von Lernorten.

Verantwortung kann gezielt übertragen werden, indem Klassendienste demokratisch verteilt, Schüler als Experten eingebunden, Peer-Learning gefördert und Möglichkeiten zur Selbstbewertung geschaffen werden.

Auch auf Leitungsebene sind systemische Veränderungen möglich. Eine partizipative Schulentwicklung bedeutet, Schüler in Schulkonferenzen einzubeziehen, ihnen echte Mitbestimmung bei Schulregeln zu geben, Projektwochen selbstbestimmt gestalten zu lassen und Räume für Eigeninitiative zu schaffen.

Alternative Bewertungsformen können eingeführt werden – etwa Portfolioarbeit, Lernentwicklungsgespräche anstelle von Zeugnissen, Kompetenzraster statt Noten sowie Formen der Selbst- und Peer-Einschätzung.

Checkliste: Erste Schritte zur Demokratisierung

Für den Unterricht:

  •  Sitzkreis für Besprechungen einführen
  •  Abstimmungen über Unterrichtsthemen
  •  Schüler Verantwortung übertragen
  •  Reflexionsrunden etablieren
  •  Wahlmöglichkeiten bei Aufgaben

Für die Schulkultur:

  •  Schülervertretung stärken
  •  Mitbestimmung bei Schulregeln
  •  Konfliktmediation durch Schüler
  •  Projektwochen demokratisch planen
  •  Feedback-Kultur entwickeln

Für zu Hause:

  •  Familienregeln gemeinsam aufstellen
  •  Kinder bei Entscheidungen einbeziehen
  •  Eigenständigkeit fördern
  •  Interessen unterstützen
  •  Vertrauen in Lernprozesse

12. Zusammenfassung und Ausblick

Die wichtigsten Unterschiede auf einen Blick

DimensionFreie Demokratische Schule KaprioleTraditionelle Schule
Lernphilosophie„Kinder lernen, was sie wirklich interessiert“„Kinder müssen bestimmte Inhalte lernen“
MotivationIntrinsisch (von innen)Extrinsisch (von außen)
ZeitstrukturFlexibel, selbstbestimmtStarrer Stundenplan
BewertungSelbstreflexion, PortfoliosNoten und Zeugnisse
EntscheidungenDemokratisch (1 Person = 1 Stimme)Hierarchisch (Erwachsene entscheiden)
FehlerkulturFehler als LernchanceFehler als Defizit
SozialformAltersgemischtJahrgangsklassen
LehrerrolleBegleiterin, MentorinWissensvermittler*in
KonfliktlösungGemeinsam in der SchulversammlungDurch Autoritäten
InklusionSelbstverständlicher TeilOft Sonderbehandlung

Zukunftsperspektiven der Kapriole

Die Kapriole entwickelt sich stetig weiter. Aktuelle Projekte und Visionen umfassen:

  • Digitalisierung: Integration digitaler Medien in selbstbestimmte Lernprozesse
  • Nachhaltigkeit: Ausbau ökologischer Projekte und Bewusstseinsbildung
  • Vernetzung: Stärkere Kooperation mit anderen demokratischen Schulen
  • Öffentlichkeitsarbeit: Mehr Menschen für demokratische Bildung begeistern
  • Wissenschaftliche Begleitung: Forschungsprojekte zur Wirksamkeit des Konzepts

Eine Vision: Wenn alle Schulen wie die Kapriole wären…

Stell Dir eine Welt vor, in der die Prinzipien der Kapriole Standard wären:

Gesellschaftlich würden wir erleben:

  • Mehr demokratische Kompetenz in der Bevölkerung
  • Höhere Innovationskraft durch kreative, selbstständige Menschen
  • Weniger psychische Erkrankungen durch stressfreies Lernen
  • Stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt durch gelebte Solidarität

Individuell würden Menschen:

  • Mit mehr Selbstvertrauen durchs Leben gehen
  • Ihre Talente optimal entfalten können
  • Glücklicher und zufriedener sein
  • Besser mit Herausforderungen umgehen können

Bildungspolitisch würde sich zeigen:

  • Höhere Lernmotivation bei allen Beteiligten
  • Bessere Lernergebnisse durch intrinsische Motivation
  • Mehr Bildungsgerechtigkeit durch individuelle Förderung
  • Nachhaltigere Kompetenzentwicklung statt kurzfristigem Faktenwissen

13. FAQ: Die häufigsten Fragen zur Freien Demokratischen Schule Kapriole

Welche Schulabschlüsse kann man an der Kapriole machen?

Die Kapriole ist als Grund-, Haupt- und Werkrealschule genehmigt. Schüler können sich auf den Hauptschulabschluss und/oder Werkrealschulabschluss vorbereiten. Diese Prüfungen werden in Kooperation mit zwei Freiburger Staatsschulen abgehalten. Alternativ stehen die Schulfremdenprüfungen für alle Abschlüsse (einschließlich Abitur) offen.

Wie finanziert sich die Kapriole?

Die Finanzierung setzt sich zusammen aus:

  • Staatlichen Zuschüssen (Teilfinanzierung)
  • Elternbeiträgen (ca. 230€/Monat für das erste Kind)
  • Einmalige Einlage von 1.000€ (wird bei Verlassen zurückgezahlt)
  • Spenden und Förderungen

Wie kann ich mein Kind an der Kapriole anmelden?

Der Anmeldeprozess umfasst:

  1. Kontaktaufnahme und Information über das Konzept
  2. Anmeldung (idealerweise ein Jahr vor Schulbeginn)
  3. Aufnahmegespräch mit den Eltern
  4. Besuchsnachmittag für das Kind
  5. Entscheidung durch das Aufnahmegremium

Lernen die Kinder wirklich genug ohne Zwang?

Die Erfahrung zeigt: Ja! Kinder lernen sogar effektiver, wenn sie intrinsisch motiviert sind. Ein Schüler berichtet:“Ich habe das genauso gut gelernt wie wenn man es mir total eingeprügelt hätte, bloß es ging schneller, weil ich mich dafür interessiert habe.“

Was passiert, wenn ein Kind gar nichts lernen will?

Diese Phase gibt es tatsächlich manchmal – sie wird „Deschooling“ genannt. Kinder, die aus dem Regelsystem kommen, brauchen oft Zeit, um wieder zu ihrer natürlichen Neugier zurückzufinden. Die Erfahrung zeigt: Nach dieser Phase entwickeln die Kinder meist umso stärkere eigene Interessen.

Wie werden Konflikte gelöst?

Konflikte werden in der Schulversammlung besprochen und gemeinsam gelöst. Es gibt auch ausgebildete Streitschlichter unter den Schülern. Das Prinzip: Die Gemeinschaft findet gemeinsam Lösungen.

Können Kinder mit Förderbedarf die Kapriole besuchen?

Ja! Die Kapriole versteht sich als „Schule für alle Kinder“. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden inklusiv beschult und erhalten bei Bedarf zusätzliche Unterstützung durch Heilpädagogen oder Integrationshelfer.

Wie kommen Kapriole-Schüler später im Berufsleben zurecht?

Sehr gut! Die Kompetenzen, die sie an der Kapriole erwerben – Selbstständigkeit, Eigenverantwortung, Teamfähigkeit, Kreativität – sind genau die Fähigkeiten, die in der modernen Arbeitswelt gefragt sind.

Gibt es wissenschaftliche Belege für das Konzept?

Ja, zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit demokratischer Schulen. Die Hirnforschung zeigt, dass intrinsisch motiviertes Lernen nachhaltiger ist. Langzeitstudien zeigen, dass Absolvent demokratischer Schulen überdurchschnittlich erfolgreich und zufrieden sind.

Wie viele Lehrer arbeiten an der Kapriole?

An der Kapriole arbeiten 32 fest angestellte Mitarbeiter, darunter Lehrer, Sonder-, Sozial-, Heil-, Medien- und Theaterpädagogen sowie Handwerker.

Kann man die Kapriole besuchen?

Ja! Die Schule bietet regelmäßig Tage der offenen Tür und Informationsveranstaltungen an. Interessierte können sich auf der Website informieren und einen Besuchstermin vereinbaren.

14. Glossar

Altersgemischtes Lernen: Kinder unterschiedlichen Alters lernen gemeinsam voneinander, ohne Einteilung in Jahrgangsklassen.

Deschooling: Phase der „Entschulung“, in der Kinder nach dem Wechsel aus dem Regelsystem ihre natürliche Lernfreude wiederentdecken.

Demokratische Schule: Schule, in der alle Mitglieder gleichberechtigt über alle Belange entscheiden.

EUDEC: European Democratic Education Community – europaweites Netzwerk demokratischer Schulen.

Inklusion: Gemeinsames Lernen aller Kinder, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen.

Intrinsische Motivation: Motivation, die von innen kommt, aus eigenem Interesse und Antrieb.

Lernbegleiter: Alternative Bezeichnung für Lehrer, die die veränderte Rolle betont.

Schulversammlung: Wöchentliches demokratisches Entscheidungsgremium aller Schulmitglieder.

Selbstbestimmtes Lernen: Lernform, bei der die Lernenden selbst über Inhalt, Zeit, Ort und Methode entscheiden.

Vertrauensperson: Jedes Kind hat einen Erwachsenen als persönlichen Ansprechpartner.

15. Weiterführende Ressourcen

Freie Demokratische Schule Kapriolewww.kapriole-freiburg.de

Literatur

  • Brügelmann, H. (2006): „Sind Noten nützlich und nötig? Ziffernzensuren und ihre Alternativen im empirischen Vergleich“
  • Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000): „The ‚what‘ and ‚why‘ of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior“
  • Gray, P., & Chanoff, D. (1986): „Democratic schooling: What happens to young people who have charge of their own education?“
  • Greenberg, D., Sadofsky, M., & Lempka, J. (2005): „The Pursuit of Happiness: The Lives of Sudbury Valley Alumni“
  • Hüther, G. (2016): „Mit Freude lernen – ein Leben lang“
  • Neill, A.S. (1960): „Summerhill: A Radical Approach to Child Rearing“

Fortbildungen und Hospitationen

Die Kapriole bietet regelmäßig: Hospitationstage für interessierte Pädagog & Workshops zu demokratischer Bildung

Beitragsreihe: Alternative Schule

Dies ist ein Beitrag der Reihe: Alternative Schulformen & Alternative Schulen

Beitragsreihe

Autor: Marian Zefferer, MSc.

Psychologe, Papa, NLP-Lehrtrainer & Autor von Bildungsimpuls.com. Dort lebe ich meine Vision, einen Beitrag für unser marodes Bildungssystem zu liefern, damit Lernen wieder geil wird und Bildung als das gesehen wird, was es ist: das geistige Gold der Gesellschaft.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert