vorbereitete Umgebung

Vorbereitete Umgebung: Montessori Prinzipien, Pikler & neue Entwicklungen

Stell Dir vor, Du betrittst ein Zimmer. Es ist kein gewöhnlicher Raum – er sprüht förmlich vor Einladungen zum Entdecken und Ausprobieren. Ein Klavier wartet darauf, angeschlagen zu werden, Bücher harren ihrer Entdeckung, und ein Basteltisch ist bereits mit allerlei Materialien ausgestattet, die förmlich danach schreien: „Baue etwas!“ Genau so könnte eine vorbereitete Umgebung aussehen, die Lernen nicht nur ermöglicht, sondern förmlich herausfordert! Klingt zu simple, ist aber unglaublich mächtig.

Das Konzept der vorbereiteten Umgebung ist ein, wenn nicht sogar DER Ansatz, um das Lernen und die Entwicklung von Kindern zu fördern: Weder ist das Kind allein auf sich gestellt, noch wird alles vorgegeben. Aber wie genau funktioniert eine vorbereitete Umgebung? Und wie kannst Du dieses Prinzip auf Deinen eigenen Lern- und Lehralltag übertragen?

Die philosophischen Grundlagen der vorbereiteten Umgebung

Die Debatte um intrinsisches Potenzial versus strukturiertes Lernen

Zwei konträre Meinungen stehen sich in der Bildungsphilosophie gegenüber: Auf der einen Seite gibt es die Ansicht, dass Kinder von Natur aus alles für ihr Wachstum in sich tragen sie bräuchten nur den Raum, um sich selbstständig zu entfalten. Auf der anderen Seite steht die Meinung, dass Kinder ohne Anleitung, ohne strukturelle Unterstützung gar nichts lernen können und deshalb Schulen unverzichtbar sind. Die Wahrheit liegt, wie so häufig, irgendwo in der Mitte.

Die vorbereitete Umgebung bietet genau diese Balance zwischen freier Entfaltung und strukturiertem Lernen.

Warum Kinder nicht zu 100% autonom alles lernen können

Einmal war ich im Urlaub in einem kleinen „Hotel“. Die Besitzerin ging mit ihrer Tochter Eislaufen, wir unterhielten uns davor noch länger und erfuhren, dass ihre Tochter ein Pflegekind sei, welches mit 2,5 Jahren zu ihr kam. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie weder gehen noch krabbeln! Selbst sitzen mochte sie nicht gerne! Davon ist heute nichts mehr zu sehen, sie ist sportlich und lebensfroh mit ihren 10 Jahren. Was aber bedeutet das? Wenn die Umgebung uns nicht einlädt zu lernen – oder wir gar nicht die Möglichkeit und im wahrsten Sinne des Wortes nicht den Raum dafür haben. Dann lernen wir gar nichts! Nicht mal so einfache Dinge wie krabbeln. Die Umgebung spielt eine entscheidende Rolle.

Das bedeutet aber nicht, dass wir es dem Kind beibringen müssen. Da die Eltern weder vor krabbeln noch aufstehen und hinfallen, noch besonders wertvolle Tipps geben, wie man den jetzt „richtig krabblet“ – also die meisten Eltern tun das zumindest nicht ;). Wann also lernt das Kind am besten?

Die Antwort ist in einer vorbereiteten Umgebung. Eine Umgebung, die genau auf das Alter und Entwicklungsniveau (inkl. den sensiblen Lernphasen) abgestimmt ist, damit das Kind zum Lernen „verführt“ wird.

Die praktische Umsetzung: Das Prinzip einer Ja-Umgebung

Was ist eine Ja-Umgebung?

Die Idee einer Ja-Umgebung besteht darin, einen Raum zu schaffen, in dem Kinder sicher und ermutigt sind, Neues auszuprobieren. Ein Ort, an dem sie so selten wie möglich „Nein“ hören. Solche Umgebungen minimieren Risiken und maximieren die Freiheit zur Entfaltung.

Infobox: Eine Ja-Umgebung bedeutet bei Babys und Kleinkindern möglichst viele potenzielle Gefahrenquellen zu sichern, um Kindern kreativen Raum zum Lernen zu geben.

Beispielhafter Aufbau einer vorbereiteten Umgebung

  • Sicherheit: Kindersicherungen an Steckdosen und gefährlichen Geräten. Ein Kinderstahl oder eine abgrenzung wo das Kind sich frei entfalten kann und innerhalb dessen es alles tun darf.
  • Inspirierende Materialien: Bücher zur freien Entnahme, Bausteine zum kreativen Gestalten.
  • Freie Bewegung: Genügend Platz zum Klettern, Krabbeln und Laufen. (Je nach Alter)

💡 Wusstest Du schon? Maria Montessori, die Begründerin der Montessori-Pädagogik, legte großen Wert darauf, den Kindern Materialien zur Verfügung zu stellen, die sie zur Exploration und Selbstständigkeit anregen. Daher heißen diese Materialien auch Montessorie-Materialien, weil sie viele davon selbst entwickelte.

Ein weiteres (negativ-)Beispiel von einer Ja-Umgebung sind Tablets in Schulen. Wenn das Tablet nicht eingeschränkt ist, ist es keine Ja-Umgebung, weil man ja ständig „Nein“ sagen müsste (etwa Computerspiele spielen, Internet surfen, usw.). Wenn das Tablet so konzipiert ist, dass alles eingeschränkt ist und nur Lernapps oben wären, sodass es keinen Grund gibt nein zu sagen, dann würde es sich auch hier um eine Ja-Umgebung handeln.

Und wie ist das bei Erwachsenen? Auch hier gibt es das. Vielleicht hast Du schon mal vom Remarkable (Pro) gehört? Ein E-Ink-Tablet, das Papier möglichst nachahmt (Geräusch, Gefühl, Leichtigkeit und Dünnheit des Tablets,…). Das absolut besondere an diesem Tablet? Es kann fast nichts. Du hast keinen Browser, mit dem Du Internet surfen kannst, Du kannst (kaum) Apps installieren, Du kannst eigentlich nur lesen und schreiben – so wie mit Büchern und auf Papier. Kostet das Tablet weniger? Nein, es ist eines der teuersten auf dem Markt und produktive Menschen lieben es offensichtlich.

Die Rolle der vorbereiteten Umgebung in der schulischen Bildung

Spiel und Lernen – Hand in Hand

Spielplätze sind ein hervorragendes Beispiel für vorbereitete Umgebungen. Sie bieten Kindern an, ihre physischen Fähigkeiten zu testen und Naturgesetze, wie die Schwerkraft, spielerisch zu erkunden. Auch in Schulen lässt sich dieses Prinzip nutzen. Hier können spezielle Themenräume (z.B. für Musik oder Naturwissenschaften) mit entsprechenden Materialien ausgestattet werden.

Lernwerkstätte im Wasserschloss als Vorbild

Ein bekanntes Beispiel ist die Lernwerkstätte Pottenbrunn, die auf die Prinzipien der vorbereiteten Umgebung setzen. Räume sind dort thematisch so gestaltet, dass Kinder und Jugendliche selbstständig Wissen erlangen können. Über diese Schule habe ich bereits einen Artikel beschrieben, die Online-Hausführung zeigt dort sehr perfekt, sowohl die outdoor, als auch die indoor vorbereitete Umgebung (ein Genuss für Insider und Experten):

Zitat aus einer Lehrerin der Lernwerkstätte in Pöttenbrunn: „Es ist einfach geil mit dem Schülel jetzt über Beistrichsetzung zu reden, nicht weil die Glocke geläutet hat, nicht weil es jetzt 10 Uhr ist, sondern einfach weil der Schüler das jetzt in diesem Moment wissen will.“ Das ist die Macht der vorbereiteten Umgebung.

Praxistipp: Integriere im ersten Schritt Elemente der vorbereiteten Umgebung in Deinen Unterricht, indem Du spezielle Ecken für spezielle Themen (kreative Projekte, wissenschaftliche Experimente,…) einrichtest.

Was Du ab jetzt tun kannst: Bereite die Bühne für Wissenserwerb

  • Raum für Erkundungen schaffen: Richte in Deinem Zuhause oder in Deiner Schulumgebung Zonen ein, die Kinder zur Erkundung und zum Lernen einladen.
  • Materialien bereitstellen: Sorge dafür, dass anregende Materialien (für diese Altersgruppe!) stets verfügbar sind, ohne dass Erwachsene eingreifen müssen.
  • Sicherheitsmaßnahmen treffen: Schütze potenzielle Gefahrenstellen, um den Kindern den Freiraum für eigenständiges Handeln zu gewähren.

Bei mir zuhause gibt es u.a. eigene Bereich wo ich besonders kreativ bin (nämlich an einem riesigen Whiteboad mit allen möglichen Whiteboard-Farbstiften). Manchmal können es auch kleine Änderungen sein, die großes bewirken.

Freiarbeit als pädagogische Methode für eine vorbereitete Umgebung

Freiarbeit bedeutet, dass die Kinder nach ihren Wünschen arbeiten und lernen dürfen (wobei oftmals ein Rahmen vorgegeben ist). Das funktioniert auch in nicht vorbereiteten Umgebungen, aber es funktioniert viel schlechter. Der Vorteil der vorbereiteten Umgebungen ist, dass Kinder konzentrierter und besser lernen. Wichtig: wenn es zu laut ist, handelt es sich nicht um eine gute vorbereitete Umgebung. Man würde in diesem Konzept mehrere Räume benötigen, nämlich einen, wo Lautstärke ok ist und mindestens einen weiteren, wo absolute Stillarbeit angesagt ist.

FAQ

Warum ist eine vorbereitete Umgebung beim Lernen wichtig?

Weil sie die Freiheit zur Erkundung mit der nötigen Sicherheit kombiniert und damit sowohl kreatives als auch strukturiertes Lernen unterstützt.

Kann das Konzept auch für ältere Schüler oder Erwachsene genutzt werden?

Ja, das Konzept lässt sich sehr gut auf alle Altersgruppen übertragen. Es kommt darauf an, die Umgebung dem Bildungsstand und Interesse entsprechend zu gestalten. Für die ersten Jahre gibt es von Emmi Pikler und Maria Montessori eigene Materialien und Raumpläne. Für Erwachsene muss man meist selbst kreativ werden, aber es ist möglich.

Was ist der Unterschied zwischen Montessori-Schulen und traditionellen Schulen?

Montessori-Schulen legen großen Wert darauf, dass Kinder aus eigenem Antrieb lernen, wobei die vorbereitete Umgebung eine zentrale Rolle spielt. Traditionelle Schulen folgen oft einem strikteren Curriculum und einer vorgegebenen Unterrichtszeit.

Ein gut vorbereitetes Umfeld kann den Unterschied zwischen eintönigem Lernstoff und lebhaftem, geführtem Lernen ausmachen. Setze dieses Wissen ein und gestalte Deine Umgebung so, dass sie Lernen nicht nur zulässt, sondern fördert!

Was haben Emmi Pikler und Maria Montessori damit zu tun?

Emmi Pikler (von den Pikler Spielräumen), sowie Maria Montessori (Schulgründerin), verwendeten beide das Konzept der vorbereiteten Umgebung. Bei beiden findest Du hervorragende Ideen zur Raumgestaltung von KiTas. Zu den Materialien von den ersten Jahren, usw. Für Jugendliche und Erwachsene gibt es etwas weniger Material (für Erwachsene ist noch am ehesten der Begriff Lernstationen ein guter Suchbegriff, wobei der in der Regel nur an der Oberfläche kratzt und das Potenzial überhaupt nicht ausschöpft)

Autor: Marian Zefferer, MSc.

Psychologe, Papa, NLP-Lehrtrainer & Autor von Bildungsimpuls.com. Dort lebe ich meine Vision, einen Beitrag für unser marodes Bildungssystem zu liefern, damit Lernen wieder geil wird und Bildung als das gesehen wird, was es ist: das geistige Gold der Gesellschaft.


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